Kalla Malla
Im weltweit führenden Finanzhaifischbecken braut sich Unheil zusammen: In Folge einer größeren Umstrukturierung werden in einer großen Investmentfirma an der New Yorker Wallstreet etliche Mitarbeiter gefeuert. Einer der Leidtragenden davon ist auch Eric Dale (Stanley Tucci), der kurz zuvor als Risiko-Analyst ernsthafte Unstimmigkeiten in den Kalkulationen von Wertpapieren festgestellt hatte.
Bevor er das Gebäude verlassen muss, kann er im Aufzug noch seinem vormaligen Untergebenen Peter Sullivan (Zachary Quinto) einen Speicherchip mit dem brisanten Daten zustecken, mit der Warnung, damit vorsichtig umzugehen. Als studierter Physiker vom M.I.T. ist Peter virtuos im Umgang mit Zahlen und stellt in nur wenigen Stunden fest, dass ein Programm zur Erstellung von Prognosen über die Entwicklung von Wertpapieren fehlerhaft ist.
Er zieht seine Kollegen Seth Bregman (Penn Badgley) und Will Emerson (Paul Bettany) hinzu, die seine Befürchtungen bestätigen: Das Unternehmen hockt auf faulen Papieren, deren Wertberichtigung den Konkurs bedeuten würde. Ihr erfahrener Vorgesetzter Sam Rogers (Kevin Spacey) ist geschockt, und die gesamte Führungsetage muss sich auf eine Nachtschicht einstellen. Als der Ceo John Tuld (Jeremy Irons) per Hubschrauber eintrifft, setzt er die Marschrichtung fest: Die Firma muss um jeden Preis gerettet werden, auch wenn das die Finanzmärkte weltweit ins Trudeln versetzt. Ein aussichtslos scheinender Rettungsversuch zwischen Moral, Schuldgefühl und Geldgier nimmt seinen Lauf...
Die große Katastrophe, auf die der Film hinarbeitet, spart Regisseur Chandor aus. Das böse Ende spielt sich im Kopf der Zuschauer ab, die durch die Nachrichtensendungen der vergangenen Jahre nur allzugut mit den verheerenden Folgen der Finanzkrise vertraut sind. Schließlich ist auch »Der große Crash« nur eine Bebilderung unserer Vorstellung des großen Übels - und unserer manifestierten Vorstellung vom scheinbar undurchschaubaren Bankwesen. Vom naiven, aufstrebenden Trader, dessen Karriereanfang zugleich zum -ende wird (Badgley), über den zynischen, sein Gehalt für Prostituierte und Alkohol verprassenden Schwerverdiener (Bettany) und den inkompetenten, arroganten Chef-Liebling (Simon Baker als Jared Cohen) bis hin zum erbarmungslosen Kapitalisten und Oberboss (Irons) findet jeder zu erwartende Charakter seinen Platz.
Doch Chandor übt sich inmitten klischeehafter Rollenbilder und konventioneller Bildgestaltung durchaus in Differenzierung, weicht ab von der Diffamierung böser Banker und zeigt eine systemische statt einer individuellen Schuld an den Ereignissen auf. Dass auch Laien dem in seiner Nüchternheit fesselnden Plot folgen können, liegt daran, dass Chandor weniger auf wirtschaftswissenschaftliche Details als auf die Illustration einer Chronologie von Fehlentscheidungen und den Menschen dahinter setzt. In der knapp 24 Stunden umrahmenden und in nur 17 Tagen gedrehten Handlung verlässt die Kamera nur selten die Büroräume weit über den Straßen New Yorks und mutiert so zu einem Kammerspiel in kühler, chromblanker, seelenloser Umgebung.
Die Konzentration auf wenige Räume ist nicht nur auf die unabhängige Produktion zurückzuführen, für die ein Trio rund um Darsteller Zachary Quinto verantwortlich zeichnete, sondern auch auf Chandors Vertrautheit mit dieser Welt. Immerhin war sein Vater fast 40 Jahre lang bei der New Yorker Investmentbank Merrill Lynch tätig. »Ich kenne viele dieser Leute, und deshalb weiß ich, dass sie nicht das personifizierte Böse sind«, sagt der Regiedebütant. Mit der Rolle des Sam Rogers schuf er die wohl stärkste glaubwürdige Moralinstanz im Film: Einen alten Hasen im Geschäft, der im Laufe der Jahre wohl zu oft weggesehen hat. Und abends nicht über verlorene Wertpapiere, sondern seinen soeben eingeschläferten Hund trauert. Banker sind eben auch nur Menschen.
Fazit: J.C. Chandors Wall-Street-Drama verdichtet einen desaströsen Finanz-Crash auf knappe 36 Stunden - und das mit Starbesetzung (u. a. Jeremy Irons, Demi Moore, Paul Bettany). Verstörendes Gegenwartskino, das von nicht mehr beherrschbaren Geldflüssen erzählt. Weiters bringt der Film den Zeitgeist des Finanzwesens sehr gut auf den Punkt und schafft es dank seines hohen Tempos und seiner kompakt inszenierten Geschichte für sehr viel Spannung zu sorgen.