Kalla Malla
Die fast gänzlich gehörlose Hanna lebt seit Jahren den selben, apathischen Alltagstrott. Geradezu mechanisch führt sie täglich ihre Arbeit in einer sterilen Folienfabrik aus, ohne in mehreren Jahren auch nur ein einziges Mal krank gewesen zu sein. Wenn sie die Einflüsse ihrer Umwelt nicht mehr eträgt, schaltet Hanna einfach ihr Hörgerät aus und zieht sich in ihre eigene Welt zurück. Als ihre Arbeitskollegen eines Tages über die junge Frau zu tuscheln beginnen, wird Hanna von ihrem Vorgesetzten für ein paar Wochen beurlaubt. Diese Gelegenheit nutzt die introvertierte und verschlossene Frau jedoch nicht tatsächlich für einen wohlverdienten Urlaub, sondern meldet sich spontan für einen Job als Krankenschwester auf einer Bohrinsel. Diese entpuppt sich schnell als ideales Arbeitsumfeld für die bildschöne Frau mit dem osteuropäischen Akzent, sind die wenigen, dort arbeitenden Männer doch überwiegend genau so verschlossen wie sie selbst. Ihr Patient ist der 45 jährige Josef, der sich bei einem Arbeitsunfall schwere Verbrennungen zugezogen hat und nun für die kommende Zeit blind und bewegungsunfähig ans Bett gefesselt ist. Josef freut sich über die unverhoffte Gesellschaft und die somit gewonnene Möglichkeit zur Kommunikation und dringt mit seiner offenen, charmanten Art mit der Zeit sogar durch Hannas sorgsam errichteten Schutzwall hindurch. Zwischen den beiden grundverschiedenen Menschen entsteht eine tiefe, emotionale Bindung, die für Hanna jedoch eine Konfrontation mit einem traumatischen Erlebnis aus ihrer Vergangenheit bedeutet...
Worte sind die Bilder unserer Seele, das wusste bereits einer der größten deutschen Dichter und Denker, Johann Wolfgang von Goethe. Schweigen hingegen kann eine Mauer sein, die eine geschundene Seele aus Schutz vor den Menschen errichtet, die sie verletzt oder gar zerstört haben. In ruhigen Bildern erzählt Das geheime Leben der Worte die Geschichte über einen solchen Menschen, der sich in seiner Flucht vor der Welt in der Einsamkeit der Stille zurückgezogen hat und erst durch das Vertrauen einer vom Schicksal ähnlich geprüften Seele zu ihrem Glauben an das Gute im Menschen zurückfindet. Verantwortlich für diese spanische Produktion aus dem Jahr 2005 zeichnet sich dabei keine Geringere als die Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin Isabel Coixet, die bereits mit dem intensiven und zu Tränen rührenden Drama Mein Leben ohne mich von sich reden machte und ihr Geschick für ergreifendes Gefühlskino fernab von Kitsch und Pathos unter Beweis stellte. Mit Das geheime Leben der Worte bleibt die Regisseurin nun auch weiterhin ihrer Linie treu und setzt dem Publikum ein intensives und außerdem schwer verdauliches Liebesdrama vor, das sich den gängigen Klischees dieser Filmgattung schon insofern widersetzt, als dass es weniger auf Unterhaltung, als vielmehr auf die Eindrücklichkeit der Bilder und seiner tiefgründigen Handlung setzt.
Diese kommt höchst anspruchsvoll daher und erfordert vom Zuschauer ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Empathie. Ruhig, geradezu unscheinbar erzählt Coixet zu Beginn die Geschichte einer jungen Frau, die sich vom gesellschaftlichen Leben losgelöst zu haben scheint und ihren Alltag nur noch mit einem festen Regelwerk aus festgefahrener Wiederholung und streng eingehaltener Einsamkeit zu meistern scheint. Die hörbehinderte Hanna gibt dem Publikum dabei schon früh Rätsel auf, es ist geradezu offensichtlich, dass die bildhübsche Blonde mit dem osteuropäischen Akzent vor etwas auf der Flucht zu sein scheint. Auch der begleitende Off-Kommentar einer Kinderstimme mag nicht alle aufgeworfenen Fragen zu beantworten und entschlüsselt sich erst sehr viel später.Passend zu seiner Hauptfigur präsentiert sich Das geheime Leben der Worte in dezenten, unscheinbaren Bildern, die zunächst keinen großen Wiedererkennungswert aufzubringen scheinen und erst langsam und mit Bedacht ihren Sog zu entfalten wissen. Ehe man es sich versieht, findet man sich in der vorherrschenden, leisen Melancholie gefangen. Als dann Josef ins Spiel kommt, bildet dieser zunächst einen klaffenden Gegensatz zu Hanna. Obgleich von einem Unfall verletzt, ans Bett gefesselt und vorübergehend erblindet, sprüht diese Figur nur so vor Tatendrang und Mitteilsamkeit, womit Josef in der stillen Hanna die perfekte Zuhörerin gefunden zu haben scheint. Zunächst verschließt sich die Krankenschwester dabei zwar noch von den charmanten und gewitzten Avancen ihres Patienten, doch je weiter die 111 minütige Handlung voranschreitet, desto enger wird das zarte Band zwischen den Charakteren geknüpft, bis schließlich die tief unter der Oberfläche versteckten Sehnsüchte, Geheimnisse und quälenden Erinnerungen der beiden zum Vorschein treten. Das geheime Leben der Worte ist somit weniger ein Liebesfilm, als dass er vielmehr die Geschichte zweier Seelenverwandter erzählt, die erst durch ihre emotionalen und physischen Verletzungen zueinander finden. Verständlich, dass ein solcher Film nicht den Geschmack eines breiten Publikums treffen wird, zumal sich Das geheime Leben der Worte vor allem zu Beginn noch schwer zugänglich, geradezu langatmig gibt. Der schwierige Einstieg wird von Isabel Coixet dann später allerdings mit einer solchen Wucht aus sich Bahn brechenden Gefühlen und Szenen von solch trauriger Schöhnheit wieder wett gemacht, dass er im Nachheinein kaum noch von Belang ist.
Auch auf anderen Ebenen weiß der Film zu begeistern. Mit der Bohrinsel hat dieses packende Konglomerat aus Psychodrama und zärtlichem Liebesfilm die perfekte Kulisse erhalten, denn schon die stillen, langen Einstellungen der nach dem Arbeitsunfall fast verlassenen Station macht die Einsamkeit der dort noch arbeitenden Menschen direkt greifbar. Bereits nach kürzester Zeit legt sich alleine schon aufgrund der Szenarie eine derartige Schwermut über das Gesamtbild des Films, dass sich die Einblicke in das Innenleben der Menschen, allen voran Hanna und Josef, wie kleine Lichtblicke in das triste Dunkel abzeichnen. Doch auch andere Figuren erhalten Gewichtung und werden zu interessanten Nebencharakteren, über die man gerne so viel wie nur möglich erfahren würde. Da ist zum Beispiel der Koch Simon, der einem schon alleine mit seiner puren Herzlichkeit und Sympathie eine Wonne der Fröhlichkeit nach der anderen übers Gemüt schickt. Eine der wohl eindringlichsten Figuren ist allerdings die eines im Grunde genommen absolut überflüssigen Mitarbeiters irgendeines Meeresinstitutes. Von den restlichen Arbeitern auf der Bohrinsel mit Missachtung gestraft und von seinen Vorgesetzten offensichtlich längst vergessen, sitzt er nun Tag für Tag da, zählt die Wellen und sammelt Muscheln, in der Hoffnung, eines Tages irgend etwas verändern zu können. Die Traurigkeit dieser Figur ist maßgeblich für die zunächst vorherrschende Hoffnungslosigkeit des Films, in der erst das sanfte Glimmen von Liebe und Vertrauen wieder Freude im Zuschauer aufkommen lassen. Bis dort ist es zwar ein langer Weg, den Das geheime Leben der Worte mit einem beeindruckenden Geschick für atmosphärische Aufnahmen und einem wunderschönen Soundtrack jedoch makellos meistert.
Da ein Film wie dieser letztendlich mit der Glaubwürdigkeit seiner Schauspieler steht und fällt, ist es nur nachvollziehbar, dass sämtliche Rollen mit absolut überzeugenden Charaktermimen besetzt wurden, die ihre Sache ohne Ausnahme herausragend meistern. Sarah Polley gibt sich in der Rolle der Hanna zunächst so tief und unergründlich wie das Meer, in dem die Bohrinsel errichtet ist, bevor sie schließlich neues Vertrauen in die Menschen fasst und ihre Hoffnung in ein besseres Leben der Macht der Liebe anvertraut. Mit Tim Robbins fand man glücklicherweise den perfekten Gegenpart für die Schauspielerin. Der bekannte Hollywoodmime wandelt hier meilenweit fernab des Mainstreams und legt eine ebenso vielschichtige Darstellung wie seine Kollegin hin, welche im Grunde beide absolut oscarwürdig sind. Spätestens, wenn Hanna und Josef einander gegenübersitzen und die traumatisierte Frau ihrem Patienten unter Tränen aus dem düstersten Kapitel ihrer Vergangenheit erzählt, wird man mit einer solchen Woge verschiedenster Emotionen und Gefühle überwältigt, dass wohl nur die Abgehärtesten nicht zum Taschentuch greifen werden. Solche Szenen sind es, die eindrucksvoll verdeutlichen, welch meisterhafte Performances hier an den Tag gelegt wurden.
Fazit: Insgesamt ist 'Das Leben der Worte' die ungewöhnliche und absolut ergreifende Charakterstudie zweier zerstörter Menschen, die durch ihren gemeinsamen Schmerz und die Hoffnung in die Liebe zueinanderfinden. Die sein Publikum wie eine Flutwelle erfassende Intensität des Geschilderten verfehlt seine Wirkung dabei ebenso wenig wie die aussagekräftigen und tieftraurigen Bilder, welche gemeinsam mit dem melancholischen Soundtrack eine dichte und bis ins Innerste vordringende Atmosphäre erschaffen. Eine gewisse Vorliebe für ruhigere Filme ist hier jedoch zwingend vorausgesetzt, um sich diesem tieftraurigen, menschlichen Drama öffnen zu können und die allgegenwärtige Ruhe des Films nicht mit Langatmigkeit gleichzusetzen. Wer jedoch bereit ist, sich auf das Gezeigte einzulassen, der wird mit einem absolut ergreifenden, erschütternden und aufwühlenden Filmerlebnis belohnt werden, das nicht nur einmal zu Tränen rührt, dabei aber am Ende ein Gefühl leiser Hoffnung und Wärme zurücklässt.