Kalla Malla
Eines Tages wird die Dubliner Psychiaterin Jane Morton in ein kleines und auf einer Insel gelegenes Dorf berufen, wo sie ein Gutachten über den psychischen Zustand der 15 jährigen Dorothy Mills anfertigen soll. Diese wiederum soll ein ihr anvertrautes Baby gewürgt haben, bestreitet die schreckliche Tat nun aber vehement. Bei ihrer Ankunft fällt Jane sofort die extrem fremdenfeindliche Stimmung in dem kleinen Nest auf, wo man interne Probleme am liebsten noch selbst regelt. Als die Psychiaterin Dorothy kurz darauf kennenlernt, fällt es ihr nicht schwer, an ihr nach kurzer Zeit eine multiple Persönlichkeitsstörung festzustellen, denn es ist offensichtlich, dass der Geist des verstörten, blaßen und weißblonden Mädchens von mehreren Personen beherrscht wird. Je mehr sich Jane daraufhin mit Dorothy beschäftigt, desto mehr schlägt die anfängliche Ablehnung der restlichen Dorfbewohner in offene Feindseligkeit um. Als es dann zu einer Reihe unheimlicher Vorfälle kommt und die Psychiaterin eines Nachts sogar die Gestalten dreier längst Verstorbener zu sehen glaubt, wird ihr bewusst, dass auf dieser Insel etwas Schreckliches geschehen sein muss...
Unheimliche, besessene oder übernatürliche Kinder bevölkern den Horrorfilm beinahe schon seit der Geburtsstunde dieses Genres. Und egal ob man nun Die Wiege des Schreckens, den großen Klassiker Der Exorzist oder den noch sehr jungen Meilenstein Orphan - Das Waisenkind als Referenz heranzieht, die Messlatte für neue Beiträge zu dieser Thematik liegen in jedem Fall hoch. Mit der irisch-französischen Koproduktion Dorothy Mills aus dem Jahr 2008 kommt nun ein weiterer jener Filme daher, die auf den ersten Blick eine altbekannte Rezeptur neu zubereiten, zeigt dabei aber schnell eine konstante Verweigerung vor all zu vielen Konventionen. Die noch recht unbekannte Regisseurin Agnès Merlet, die hierzu auch das Drehbuch verfasste, hat ihre Hausaufgaben in so mancher Hinsicht definitiv gemacht und beweist ein geschicktes Händchen im Aufbau einer durchgehend dichten Atmosphäre, wenn dabei auch vereinzelt inhaltliche und spannungstechnische Abstriche gemacht werden müssen.
Erfreulicherweise bietet schon die Story ein wenig Abwechslung zum gängigen Einheitsbrei rachsüchtiger Dämonen und ruheloser Geister. Nunja, zumindest ein wenig. Denn auch, wenn Dorothy Mills spätestens ab der Hälfte doch wieder in die Klischeekiste greifen muss, so wird hier zu Beginn zunächst einmal eine noch nicht gänzlich abgenutzte Geschichte über ein Mädchen mit multipler Persönlichkeitsstörung erzählt, das im Wahn ein kleines Baby gewürgt haben soll und nun von der Psychiaterin Jane Morton auf ihre Zurechnungsfähigkeit überprüft wird. Mit diesem Storykonstrukt als Grundträger für die 98 minütige Handlung begnügt sich Dorothy Mills jedoch noch lange nicht. Geistererscheinungen, Vergangenheitsbewältigung und rätselhafte Vorgänge innerhalb der verschlossenen Dorfgemeinde, all das fügt sich zu einem dramaturgisch geschickt gespinnten und stilistisch zielsicher eingefangenen Mysterythriller zusammen, der sein Publikum vor allem durch die konstanten Frage bei Laune hält, wie sich die aufgehäuften Rätsel zum Schluß hin beantworten werden. Bis dahin ist es zweifellos ein langer Weg, den Agnès Merlet aber zu größten Teilen ohne nennenswerte Längen meistert. Ein fast durchgehend ruhiger Inszenierungsstil ist dabei allerdings das hervorstechendste Merkmal dieses Films und darf keinesfalls mit Inhaltsleere oder Langatmigkeit gleichgesetzt werden. Dorothy Mills ist ein bisweilen eher gemächlich voranschreitender Film, der ganz auf die stimmige Wirkung seiner düsteren Bilder vertraut, ohne auf plumpe Schockeffekte zurückzugreifen.
Wenn man der Regisseurin nun etwas vorwerfen könnte, dann vielleicht, dass die Thematik der Persönlichkeitsstörung in diesem Film fast ein wenig überspitzt dargestellt wurde. In der titelgebenden Hauptfigur, der blaßen und introvertierten Dorothy, wohnen gleich eine ganze handvoll unterschiedlicher Menschen, die sich allesamt durch ein gänzlich unterschiedliches Gebärden und einen eigenen Kleidungsgeschmack äußern. Das ständige Wechselspiel der gerade vorherrschenden Persönlichkeit nimmt irgendwann fast schon ermüdende Züge an und lässt ein ernsthaftes, dissoziatives Syndrom zu einem einfachen Gimmick werden, dem man in dieser Form nicht immer Glauben schenken kann. Auch das Finale schließlich kommt etwas überfrachtet daher und spielt schlußendlich auch noch mit übernatürlichen Ansätzen, ohne dabei aber vollends überzeugen zu wollen. Die essentiellen Fragen weiß Merlet aber geschickt zu beantwoten, was das Publikum zumindest nicht unzufrieden aus dem Film entlassen wird. Dieses Schicksal wird vielmehr jene ereilen, die sich hiervon einen schweißtreibenden und womöglich auch noch blutigen Vertreter seiner Zunft erhoffen, denn Blut gibt es hier bestenfalls im Zusammenhang mit einigen geschlachteten Tieren zu sehen. Davon abgesehen bietet Dorothy Mills zwar szenenweise eine überaus wohldosierte Spannungskurve, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das stark altbekannte Verhalten der verschlossenen, gottesfürchtigen und etwas auf dem Kerbholz tragenden Dorfbewohner recht stereotyp erscheint und daher wohl nicht ganz den von der Regisseurin erwünschten Effekt erzielt.
Nichts auszusetzen gibt es hingegen an den Schauspielerleistungen. Jenn Murray ist hier in ihrer ersten Rolle zu sehen und begeistert sogleich restlos als Titelfigur mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung. Sie bringt sowohl die unterschiedlichen Nuancen der verschiedenen Menschen in ihrer Seele, wie auch eine allgegenwärtige Angst und Unsicherheit sehr überzeugend rüber. Mit Carice van Houten wurde glücklicherweise ein ebenso überzeugender Gegenpart als Psychiaterin gecastet, die ihrerseits noch mit dem Verlust ihres Sohnes zu kämpfen hat und demzufolge ein ebenso komplexes und zerrütetes Spiel an den Tag legt wie die unheimliche Hauptprotagonistin.
Fazit: Insgesamt ist Dorothy Mills ein ruhig gehaltener, stilsicherer und atmosphärisch überzeugender Mysterythriller, der dank hervorragend aufgelegter Darsteller, einer konstant bei Laune haltenden Story und nicht zuletzt auch einigen unheimlichen Momenten durchaus zu gefallen weiß. Letztendlich gelingt es aber auch Regisseurin Agnès Merlet nicht, diverse klassische Stereotypen zu vermeiden, weiterhin hätte die arg überfrachtet wirkende Darstellung von Dorothys Persönlichkeitsstörung sicherlich auch etwas dezenter eingebracht werden können. Obwohl dies wirkliche Begeisterungsstürme also eher vermeiden wird, ist Dorothy Mills Freunden ruhiger und atmosphärischer Thriller trotz dessen durchaus ans Herz zu legen.