Kalla Malla
	
    Mit ihrer neuen Stelle als Reinigungskraft am Heathrow-Airport scheint die Polin Lena nicht gerade das goldene Los gezogen zu haben, doch zumindest mit ihrer redseligen Kollegin Birdie und deren Bruder Elbie versteht sich die junge Frau auf Anhieb. Als Lena eines Tages nach einer Spätschicht den letzten Bus in die Stadt verpasst, bieten ihr die Geschwister sogleich eine Fahrtmöglichkeit an, dazu müsse sie die Beiden jedoch kurz zu deren Haus unweit des Airports begleiten. Zögernd lässt sich Lena auf das Angebot ein und geht damit blindlings einer Familie ausgemachter Psychopathen in die Falle, denn Birdie und Elbie sind nichts anderes als Lockvögel für ihre schwer geisteskranken "Eltern", welche mit Vorliebe junge Leute entführen, um diese dann unter Demütigung und Folter in ihre Familie zu integrieren. Für Lena scheint ein Entkommen aus dieser Hölle unmöglich, wird doch jeder Anflug von Gegenwehr mit brutalsten Züchtigungen im Keim erstickt, denn ihr neuer "Dad" ist ein mörderischer Wahnsinniger, der sich nur schwer zurückhalten kann, mal niemandem mit dem Hammer den Schädel einzuschlagen, während "Mum" am Liebsten mit dem Skalpell Engelsflügel in die Rücken junger Mädchen schneidet. Von der Außenwelt abgeschnitten und Tag für Tag in höchster Lebensgefahr schwebend, begreift Lena alsbald, dass sie sich auf das perverse Spiel der Familie einlassen muss, wenn sie jemals entkommen will...
Im Horrorgenre ist es bisweilen Gang und Gäbe, einem Film bereits vor seinem Erscheinen durch ein geschicktes Marketing einen rentablen Absatz zu sichern. Gerade zu Zeiten des omnipräsenten Torture-Porns scheint dies neuerdings einfacher denn jeh: Vorab einmal verheißungsvoll "kränkster Scheiß aller Zeiten" in die Runde geraunt und das übliche Klientel pilgert verlässlich wie eine Horde Lemminge zum jeweiligen Videothekar des Vertrauens. Zu den neueren Produktionen, die letztlich von dieser markanten Entwicklung profitierten, gehört auch die britische Independent-Produktion Mum & Dad aus dem Jahr 2008, die sich mit bitterböser Ironie einem durchaus kontroversen Thema stellt, das angesichts der sich weltweit mehrenden Fälle von Kindesentführung sicherlich dem einen oder anderen übel aufstoßen dürfte. Auf blutige, zynische und knallharte Art und Weise erzählt Mum & Dad die Geschichte einer jungen Frau, die unversehens in den Fänge eines absolut psychopathischen Ehepaares gerät, gegen dessen Vorstellung vom perfekten Familienidyll die Manson-Family sicherlich geradezu sympathisch wirkt. Und obgleich Regie-Debutant Steven Sheil bei seiner latent provokanten Zerlegung des Bildnisses einer glücklichen Familie auch alles andere als zimperlich zu Werke geht, so bleibt die Gore-Keule dann dankenswerterweise doch in der Tasche, um stattdessen die Hoffnungslosigkeit der Hauptprotagonistin, sowie eine ordentliche Herausarbeitung der Charaktere in den Vordergrund zu rücken. Eine sicherlich löbliche Prämisse, die von Sheil dann allerdings reichlich spannungsarm und mit viel verschenktem Potential inszeniert wurde.
Mum & Dad ist einer der Filme, die einen ob ihrer richtig bemessenen Laufzeit und einem steten Geschehen stets am Ball halten, wirkliche Höhepunkte dabei allerdings ebenso vermissen lassen wie einen permanent nachweisbaren Spannungsbogen. In erster Linie lebt diese englische Low-Budget-Produktion von ihrem abgefahrenen Plot, den man, obwohl in dutzenden anderen Horrorfilmen ähnlich vorzufinden, in genau dieser Form noch nicht gesehen hat. Junge Menschen werden von einem geisteskranken Ehepaar entführt und von diesen als ihre eigenen Kinder behandelt, Fluchtversuche oder Zuwiderhandlungen werden jedoch aufs Härteste bestraft. Und obgleich sich der Film zunächst reichlich an seinen perversen Einfällen und der kranken Grundidee ergötzt, so rücken bebilderte Brutalitäten oder sexuelle Anzüglichkeiten hier niemals gänzlich in den Fokus. Stattdessen nutzt Regisseur Sheil die gegeben Möglichkeiten für einen beinahe schon satirischen Unterton, der selbst in den härtesten Szenen noch präsent zu sein scheint. Scheinbar normale Situationen aus dem typischen Familienalltag wie etwa das gemeinsame Frühstück oder Lieblingskind-Eifersüchteleien werden in Mum & Dad aufgegriffen und unbarmherzig durch den Kakao gezogen, was insgesamt zwar durchaus den verstörenden Grundtenor abschwächt, dem Streifen aber zweifellos eine morbide Atmosphäre verleiht. Und so wirklich ernst kann man Sheil's Abgesang auf das traute Familienglück auch dann nicht nehmen, wenn schließlich die schweren Geschütze aufgefahren werden, denn wenn Dad beispielsweise vor seiner begeisterten Familie in ein rohes Fleischstück ejakuliert, dann ist dies schon wieder eine Spur zu plump auf Tabubruch getrimmt. Sich irgendwo zwischen bewusstem Ekel und intelligenter Gesellschaftskritik niederlassend, gelingt es Mum & Dad dann allerdings nicht durchgehend, das richtige Maß zu treffen, zumal sich auch nur mit Mühe eine wirkliche Zielgruppe für diesen Streifen finden lassen dürfte. Während der gemeine Gorehound hier nämlich überwiegend außen vor gelassen wird, dürften sich Freunde des gehaltvollen Horrors schnell an den plakativ eingebrachten Perversionen stören.
Die souveräne Inszenierung mit Anleihen an das Terrorkino der 70er weiß dabei angesichts des sicherlich geringen Budgets zu überzeugen, auch wenn einem hier im besten Falle schon im Voraus bewusst sein sollte, dass man sich auf eine eher kleine Independent-Produktion einlässt. Zu einem gewissen Unmut trägt dies somit weit weniger bei als das behäbige Tempo des Films, das trotz eines stets gegebenen Unterhaltungswerts keine bahnbrechende Spannung entstehen lassen will. Selbst das Finale, welches hier in bester Rape & Revenge - Manier mit einem schonungslosen Rachefeldzug Lena's ordentlich blutrünstig hätte ausgewalzt werden können, zeigt sich in Mum & Dad antiklimaktisch und somit eher enttäuschend. In wirklicher Hochform befinden sich somit letztlich nur die Schauspieler, welche hier ohne Scheu allesamt voll in ihren Rollen aufzugehen scheinen. So legt Perry Benson eine geradezu erschreckende Glanzleistung als verschwitzter Fleischklopps im stets blutigen Unterhemd hin, während Dido Miles als unberechenbare Mutter eher auf den subtilen, lauernden Schrecken ihrer Figur setzt. Olga Fedori macht als hilfloses Entführungsopfer derweil eine gute Figur, während Ainsley Howard als ihre intrigante "Stiefschwester" auch reichlich abverlangt wird.
Der in Deutschland nur in einer um 3 Minuten erleichterten Fassung auf den Markt gebrachte Mum & Dad beweist insgesamt einmal mehr, dass letzten Endes nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Dem im Vorfeld bereits mit vielerlei Superlativen geradezu überhäuften Indie-Werk aus Großbritannien gelingt es trotz eines ordentlichen Plots und einigen brauchbaren Ansätzen nicht, sich deutlich von dem durchschnittlichen Mittelfeld vieler ähnlich gelagerter Produktionen abzuheben, was im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass sich der Film zu keinem Zeitpunkt so recht über sein eigentliches Ziel im Klaren zu sein scheint. So fehlt es hier für eine wirklich bodenständige Gesellschaftskritik noch deutlich an Tiefgang, während Sympathisanten derber Exploitation-Kost mit den Werken eines Ryan Nicholson (Gutterballs, Hanger) wesentlich besser bedient sein dürften. Sollte einmal gerade wirklich nichts anderes zur Hand sein, so ist Mum & Dad zwar noch mit reinem gewissen goutierbar, doch für eine wirkliche Empfehlung an versierte Genrefans prädestiniert sich dieses Werk nicht.