Berny23
„Stimmen in der Zeit“ erzählt die bürgerliche Lebensgeschichte der ländlichen Bevölkerung Italiens, beginnend mit der Kindheit, endend mit dem Altwerden.
Ein wichtiges Merkmal dieses Experimentalfilms ist das gänzliche Fehlen jeglicher direkter Dialoge, nur Gesprächsfetzen, Kinderreime und Gesänge sind zu hören. Dass weder englische noch deutsche Untertitel auffindbar sind, stört daher keineswegs.
Stilistisch erinnern die langen Kameraeinstellungen und der Blick auf die Natur mich an Tarkovskys Leinwandergüsse. Zwar lässt das Cover hier auf den ersten Blick eine Romanze vermuten, die zwar Teil der Geschichte, aber dennoch nicht der Hauptfokus dieses Werks ist. Stattdessen gibt es keine klaren Hauptfiguren, es wird im Allgemeinen die Landbevölkerung abgebildet, wie sie vom Kindesalter zu Teenagern heranwachsen – fast wie in einer Naturdoku kann man sie in diesem Stadium bei ihren Balztänzen beobachten. Nach dieser wortwörtlichen Hochzeit ihres Lebens kommt die Hochzeit, die traditionell abgehalten und im Garten der Familie zelebriert wird. Von dort an geht es jedoch körperlich bergab, schon werden die Haare grau und Tabletten müssen dem zerbrechlichen Leib zugeführt werden.
Gerade dieser letzte Lebensabschnitt wird begleitet von einem Jahreszeitenwechsel, der Film durchläuft dabei den typischen Jahresrhythmus, an dessen Ende der Winter steht. Nicht zuletzt die Aufnahmen der bunten Herbstwälder lassen die Gedanken zu den bekannten Gedichten Hermann Hesses schweifen. Abgerundet werden die trostlos aussehenden Gesichtszüge der Alten und das Absterben der Blätter letztlich durch Pachelbels Kanon in D-Dur, den sogar ich als absoluter Klassikbanause erkannt habe.
Der Film ist beileibe nicht für jeden, ich würde ihn nur den größten Liebhabern von Kunst- und Avantgardefilmen empfehlen. Dennoch hat er großes Potenzial, als Einschlafhilfe herangezogen zu werden; besonders dank der wenigen Gespräche, den leisen Geräuschen und dem gemächlichen Schnitttempo.
Gesehene Fassung: DVD mit italienischem Originalton ohne Untertitel
Gesehen als Teil der Liste „101 Films You Must See Before You Die“.