Bloody Jörg
Ich wage jetzt Einiges, weil sich mein Wissen über die Universal-Klassiker und ihre Hintergründe doch in Grenzen hält. Trotzdem versuche ich, das Sequel zum zeitlosen Klassiker "Dracula" nicht aus heutiger Sicht, sondern am Index der Filmgeschichte zu bewerten. Und insofern kommt die Fortsetzung wie so oft zwar auch hier nicht ans Original heran, zeigt jedoch in vielerlei Hinsicht eine Reife, die man vom einem Sequel dieser Sorte nicht unbedingt erwarten konnte.
Die ungewöhnliche Richtung schlägt "Dracula`s Tochter" schon gleich zu Beginn ein, indem man zwei bedeutende Charaktere des Vorgängers schon in der ersten Szene tot auf dem Boden liegen sieht: Dracula und Renfield, bäuchlings auf dem kalten Stein des Schlosses liegend. Neben ihnen steht Van Helsing. Die Polizei gesellt sich hinzu, sieht ihn mit einem Pflock in der Hand und zwei Leichen auf dem Boden, verhaftet ihn. Die Geschichte, von wegen die Leichen seien Vampire gewesen und er habe die Welt vor ihnen erlöst, glaubt ihm keiner der Polizisten. So wird Van Helsing für den Großteil der Geschichte außer Gefecht gesetzt.
Während Van Helsing also so vor sich hinvegitiert, wird plötzlich Draculas Leichnam gestohlen.
Schließlich taucht die Gräfin Marya Zaleska (Gloria Holden) auf. Was außer ihrem Diener Sandor (Irving Pichel) niemand ahnt: die Gräfin ist Draculas Tochter. Von ihrem Dasein als Vampir gepeinigt, will sie durch die Vernichtung von Draculas Körper den Fluch brechen und zum Menschen werden. Als dies jedoch nicht gelingt, beruhen ihre letzten Hoffnungen auf den Fähigkeiten des Psychiaters Dr. Garth (Otto Kruger)...
Man versuchte, sich so weit wie möglich vom Original zu lösen und dieses nur noch als Vermächtnis, als Legende vorkommen zu lassen. Die Geschichte sollte weitergeführt werden, und das ist es, was den Film qualitativ gewaltig anhebt.
Anstatt Dracula zurückkehren zu lassen, entschloss man sich, einen neuen Protagonisten ins Licht zu rücken. Mit Gloria Holden als Vampir-Nachkomme griff man direkt in den Goldpott. Ihre Präsenz wirkt geradezu hypnotisierend und steht Bela Lugosis Darstellung in nichts nach. Sie ist nicht das, was man unter makelloser Schönheit versteht. Ihre Gesichtszüge sind eckig und markant, ihre Augen kalt und berechnend, was vor allem in einer einzelnen Szene dokumentiert wird (als die Gräfin ihren Diener fragt "Was siehst du in meinen Augen?" und er antwortet: "Den Tod."). Es gelingt ihr, die innere Zerrissenheit und ihre undankbare Existenz zwischen Mensch und Monster widerzuspiegeln.
Das liegt nicht zuletzt auch an besagter Geschichte, die gewissermaßen dem Original-"Dracula" in Sachen Komplexität und Aussagekraft noch voraus ist. Zwar bleibt die Grundaussage (grob gesagt: auch Monster haben Gefühle) nur eine Variation aller Universal-Monsterfilme, doch ist die Dramaturgie mit all ihren Wendungen gerade zum Ende hin ihrer Zeit weit voraus (hier findet man unter anderem den Archetyp des "sadistic choice" vom Green Goblin aus "Spider-Man").
Der Rest des Casts fällt gegenüber Gloria Holden doch leicht ab. Irving Pichel wirkt als Diener Sandor wie ein Hybrid von Frankensteins Monster (vom Aussehen her) und Igor (von seiner Funktion her). Nichtsdestotrotz hat auch seine Figur einen bedeutenden Anteil an der Klasse der Story, und Pichel spielt den Sandor ja auch nicht schlecht. Nur irgendwie stören diese Assoziationen zu einem gewissen anderen Universal-Meilenstein. Aber das ist wohl den Konventionen der Zeit zuzuschreiben.
Aus heutiger Sicht leicht fehlbesetzt wirkt allerdings Otto Kruger als Psychiater Dr. Garth. Er bringt eine unfreiwillige Komik ins Spiel, die so gar nicht ins dramaturgische Grundgerüst passen will. Es gibt da so ein paar Stellen, in denen man sich über seine euphorisch-lustige Art amüsieren könnte, doch dadurch wird der Schmerz der unerfüllten Liebe der Gräfin etwas abgeschwächt.
Ansonsten bleiben die Schauspieler (Garth` Sekretärin, Van Helsing, die Polizisten) unauffällig und solide.
Ein Punkt, in dem "Dracula`s Tochter" gegenüber dem Original stark abfällt, ist die Atmosphäre. Wegen deren Fehlen wirkt der Film aus heutiger Sicht eher uninteressant. "Dracula" hatte wundervolle Kulissen zu bieten, eingefangen durch eine tolle Kameraarbeit. Man denke an Renfields Fahrt in der Kutsche ohne Kutscher zum Schloss, an die steinige Felslandschaft Transsylvaniens, an das bäuerliche Dorf, an die dunkle Gruft, an die geisterhaften Bräute Draculas, an die riesige Eingangshalle, die stürmische Schiffsfahrt, die Londoner Innenstadt... solche Magic Moments hat "Dracula`s Tochter" leider, leider nicht zu bieten. Ein Großteil des Films spielt sich in recht schlichten Räumlichkeiten ab, weshalb einfach diese besondere Gruselatmosphäre ausbleibt. Lediglich das Finale spielt in Draculas Schloss, doch kennt man die Kulissen hier bereits (selbst das riesige Spinnennetz bekam eine Neuaufführung), weshalb sich das atmosphärische Potential hier in Grenzen hält.
Ohne Frage ist "Dracula`s Tochter" ein würdiges Sequel, das durch einen unglaublich reifen Storyverlauf punkten kann sowie durch die imposante Ausstrahlung der Gloria Holden. Atmosphärisch - und das ist ja das Element, wegen dem man heutzutage Monsterklassiker bevorzugt ansieht - steht das Sequel jedoch deutlich hinter dem Original zurück.