Kalla Malla
Margaret Hall (Tilda Swinton) umsorgt ihre drei Kinder, den kranken Schwiegervater und das große Haus, während ihr Mann monatelang auf See ist. Ein Dorn in ihrem Auge ist jedoch die Beziehung ihres 17-jährigen Sohns Beau (Jonathan Tucker) zu Darby Reese (Josh Lucas), dem Betreiber einer schwulen Bar. Sie versucht, diesen mit Geld davon abzuhalten, doch wenig später liegt seine Leiche hinter dem Haus. Margaret glaubt, alles tun zu müssen, um ihr Kind zu schützen. Doch dann steht Alek Spera (Goran Visnjic) in der Tür, und er erpresst sie mit einem Video, das Beau beim Sex mit einem Mann zeigt - eben der, den Margaret soeben im See versenkt hat...
So hintergründig wie in »The Deep End« die Spannung verteilt ist, so subtil ist auch die visuelle Umsetzung. Als wäre es eine Hommage an Krzysztof Kieslowskis bekannte Trilogie, bestimmen die Farben Rot, Blau und Weiß das Geschehen. Immer wieder heben sich Gegenstände in diesen Farben deutlich ab. Trotzdem fällt es schwer, die Farben definitiv einer konkreten Figur, Stimmung oder einem bestimmten Handlungsstrang zuzuordnen.
Ziel dieser Farbdramaturgie ist es vielmehr, den Zuschauer dazu zu bewegen, noch genauer hinzusehen, anstatt auf gefällige Erklärungen zu warten. Manchmal sagt ein feuerroter Mantel eben mehr als tausend Worte.
Aus den durchgehend guten schauspielerischen Leistungen sticht einmal mehr Tilda Swinton hervor. Während andere Schauspielerinnen aus der Rolle der Margaret entweder eine heldenhafte Übermutter oder aber ein hysterisch verzweifeltes Opfer gemacht hätten, wählt Tilda Swinton den vermeintlich einfachen Weg, eine ganz normale Frau mit Schwächen und Stärken zu zeigen. Dass aber gerade in der glaubhaften Darstellung des Normalen (noch dazu in außergewöhnlichen Situationen) eine besondere Herausforderung liegt, wird oft zu wenig gewürdigt.
Überaus bemerkenswert aber auch Goran Visnjic in der Rolle des undurchsichtigen und wankelmütigen Erpressers Alek Spera. Wenn er sich neugierig in der musterhaften Küche der Musterfamilie Hall umsieht und das perfekt vorbereitete Abendessen entdeckt, dann quittiert er das mit einem sonderbaren Lächeln, das sowohl wehmütig als auch verächtlich sein kann. Das zu deuten, bleibt die interessante Aufgabe des Zuschauers.
Erstmals wurde Elisabeth Sanxay Holdings Roman »The Blank Wall« im Jahr 1949 verfilmt und zwar vom deutsch-jüdischen Exilanten Max Ophüls unter dem Titel »Schweigegeld für Liebesbriefe«. In Ophüls zweitem »Film Noir« für die Columbia Pictures Corporation spielte Joan Bennett die Rolle von Tilda Swinton und James Mason diejenige Goran Višnjićs, nämlich den Erpresser Alek Spera (2001) bzw. Martin Donnely (1949). Wie die Erstverfilmung ist »The Deep End – Trügerische Stille« ein gewissermaßen »stiller« Film, der seine Spannung nicht aus der für viele Thriller typischen, pausenlosen Action zieht. Die Beziehungen der Charaktere und das intensive Schauspiel der Darsteller, allen voran Tilda Swinton mit ihrer enormen Präsenz, kreieren eine schleichende Ausweglosigkeit.
Schauspieler, Kameraarbeit und Schnitt stehen ohne Durchhänger im Dienst einer langsamen, glaubwürdigen und teils hochdramatischen Geschichte. Minuspunkt: die Entwicklung des Rollencharakters Alek mit Blick auf Margaret vollzieht sich zu überraschend und geradlinig, um dessen bisherige Existenz als Gangster einleuchtend erscheinen zu lassen. Es ist leider die gleiche Schwäche, die schon Max Ophüls klassischen »Film Noir« Schweigegeld für Liebesbriefe auszeichnete.
Scott McGehee und David Siegel hatten 1993 mit »Suture« debütiert, einer Hommage ans Kino Alfred Hitchcocks und an John Frankenheimers »Der Mann, der zweimal lebte« (1966). Erst acht Jahre später präsentierte das Duo mit »The Deep End – Trügerische Stille« seinen zweiten Film, erneut in Reichweite des »Film-Noir«-Kinos. Die Schwächen in der Charakterzeichnung Aleks verhindern, dass der Film als großes Theater in Erinnerung bleibt, was eindeutig ein Manko des Skripts ist.
Fazit: Ein kleines, feines Thriller-Meisterstück mit Hang zum Psychodrama ist »The Deep End«, ohne Sensationen, fast ohne Action, aber mit guten Dialogen, fantastischen Darstellern und einer intensiven Atmosphäre. Der visuelle Einfallsreichtum (man achte auf die vielen, vielen Anspielungen auf Wasser, Fische und die Farbe Blau im Bild) macht den Gesamteindruck perfekt. Ein Thriller, der auf Stille und Details setzt, sehr ungewöhnlich im heutigen Kino und deswegen so wundervoll.