Kalla Malla
David Cronenberg verfilmte mit »Naked Lunch« das als unverfilmbar gepriesene Werk von William S. Borroughs, und ähnlich wie die Vorlage ist auch der Film schwer zugänglich, da sich praktisch die gesamte Handlung im Kopf der Hauptfigur (Peter Weller) abspielt.
»Naked Lunch« erzählt die Geschichte des Schriftstellers und Kammerjägers Bill Lee (als Alter Ego Burroughs', der autobiografische Elemente verwendete), der im Drogenwahn seine Ehefrau (Judy Davis) erschießt und sich dann vollkommen in einen Zustand der Illusion zurückzieht, in ein nicht existierendes Land namens Interzone, wo er als Schriftsteller arbeitet und bizarre Wesen (darunter eine Schreibmaschine, die einer Kakerlake ähnelt und aus einem überdimensionalen Anus spricht) ihn zu einem Agenten machen.
So seltsam das alles klingt, so seltsam ist auch der Film, aber wer sich darauf einlassen kann, wird mit vielen makaberen Einfällen des Regisseurs und hervorragenden Darstellerleistungen belohnt. Allein Judy Davis in ihrer Doppelrolle als Ehefrau und Geliebte Wellers lohnt das Ansehen von »Naked Lunch«. In Nebenrollen glänzen Roy Scheider, Ian Holm und Julian Sands.
Wer eine surreale Bilderflut erwartet, wird eher enttäuscht werden, da »Naked Lunch« sehr langsam und bedächtig inszeniert ist. Das Tempo geht gelegentlich gegen Null, und ich erinnere mich noch, wie sich der halbe Zuschauerraum während einer Kinovorstellung von »Naked Lunch« leerte und meine Begleitung nach 30 Minuten neben mir sanft entschlummerte. »Naked Lunch« profitiert aber vom wiederholten Sehen, weil sich immer wieder neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnen und man als Zuschauer mehr und mehr lernt, die inneren Zusammenhänge und Bezüge zu verstehen.
So radikal David Cronenberg mit Filmkonventionen umgeht, so übervorsichtig ist er leider auch beim Thema Homosexualität, die im Roman eine zentrale Rolle spielt. Bill Lees Erforschung der eigenen Sexualität und sein Ausbruch aus der konservativ-heterosexuellen Ehe (im fiktiven »Interzone«, wo die Menschen ihre wahre Natur offenbaren) wird von Cronenberg nur kurz angedeutet und schnell wieder verworfen. Schade. Den Vorwurf der Homophobie (oder zumindest dem Unverständnis gegenüber schwulen Charakteren und Beziehungen) musste sich Cronenberg auch bei »Crash« (1999) gefallen lassen, wo er ungeschminkt die bizarrsten Formen sexuellen Verhaltens zeigt, dann aber ausgerechnet vor schwuler Intimität zurückschreckt.
Weiters steht fest , dass das filmische Ergebnis nicht nur eine äußerst interessante, quasi-biografische, halluzinogene Fiktion, sondern ebenso einer der bekanntesten, aber auch am schwierigsten zu konsumierenden Filme von Cronenberg ist. Neben Anflügen von surrealistischem Humor hebt sich »Naked Lunch« auch in anderer Hinsicht vom Oeuvre des sonst sehr trockenen Kanadiers ab. Im Vergleich zu den anderen, komplett selbstbestimmten Werken des Regisseurs ist »Naked Lunch« ein Film, der sowohl typische Cronenberg-Elemente als auch Burroughs'sche Themen enthält und so einen völlig neuen Charakter bekommt.
»It would be a kind of fusion of Burroughs and me, as if we'd gotten into the telepod from »The Fly« together and come out of the other telepod as some creature which would not have existed separately«, äußert sich Cronenberg selbst über die Beziehung von Buch und Film, welcher sich - im Gegensatz zu anderen seiner Arbeiten - eher mit dem Ist als mit dem Werden auseinandersetzt. Filme wie Rabid, Scanners oder Die Fliege drehen sich meist um eine plastisch dargestellte Verwandlung von Körper und Psyche. In »Naked Lunch« geht es zwar nicht weniger bildlich zu, doch scheint Cronenberg diesmal mehr an einer Zustandsbeschreibung als an einem Transformationsszenario interessiert gewesen zu sein. »Naked Lunch« wirkt wie eine Vivisektion von Burroughs' Schaffen am lebendigen Werk.
Doch der Film ist noch aus einem weiteren Grund hochinteressant. »Naked Lunch« wird aus einer absolut subjektiven Perspektive erzählt. Es gibt keine Außenansicht, an keiner Stelle wird dem Zuschauer erlaubt, hinter die Wahrheit der Bilder zu blicken. Nicht viele Filmemacher haben den Mut, so konsequent aus der Innenperspektive ihrer Figuren zu erzählen und den Zuschauer im Vagen zu lassen. Diese Art der Auseinandersetzung mit Idealismus und konstruktivistischen Theorien lässt sich seit Videodrome in den Arbeiten von Cronenberg verfolgen. In dieser erkenntnisskeptischen Orientierung stellt »Naked Lunch« (Drogen) ein wichtiges Bindeglied zu späteren Filme wie »eXistenZ« (virtuelle Realität) und Spider (psychische Erkrankungen) dar.
Fazit: »Naked Lunch« ist das Gegenteil von Mainstream- oder Popcorn-Kino und als solches natürlich nicht jedermanns Sache. Er lässt sich in kein Genre einordnen und und ist keinem anderen Film auch nur annähernd ähnlich. Trotz einiger surreal-alptraumhafter Momente verließ David Cronenberg mit »Naked Lunch« das Horror-Genre und wandte sich dem Arthouse-Kino zu, dem er sich seitdem verpflichtet fühlt.