Joerg Melzer
Die Härte, mit der Marvel manchmal vom eigenen Kurs abweicht, kann irritierend wirken und trotzdem muss man sich keine Illusionen in Sachen Authentizität machen. Jeder Schritt ist hier durchgeplant, jede Entscheidung basiert auf strategischer Abwägung und nichts wird dem Zufall überlassen. Dass der dritte „Thor“ die Ausstrahlung einer Big-Budget-Trash-Party mit Retro-Motto hat, ist ganz bestimmt keine logische Schlussfolgerung aus dem düsteren Sequel „The Dark Kingdom“, ebenso wie dieses keine Konsequenz aus dem Kenneth-Branagh-Original war; es wäre schließlich aus Marketing-Sicht unklug, sich in dem schnelllebigen Marvel-Business auf einen vier Jahre alten Film zu beziehen, zumal seither mindestens ein Dutzend weiterer Marvel-Blockbuster ins Land gestrichen sind. Da nimmt man sich doch lieber gleich die brandaktuellen „Guardians Of The Galaxy“ vor, deren Mixtur aus Weltraumaction, Komödie und Teamgeist zum ersten Mal 2014 und dann wieder Anfang 2017 begeistert hat. Warum also Thor, den albernen Donnergott mit Flügelhelm und wehenden Strähnen, nicht auch in eine waschechte Komödie mit Theater-Flair integrieren und sich endgültig zum mythologischen Kitsch bekennen?
Denn nur weil „Thor: Ragnarok“ mehr noch als seine beiden Vorgänger ein synthetisches Unterhaltungsprodukt basierend auf Zuschaueranalysen ist, heißt das ja nicht, dass man es nicht genießen kann. Auch wenn man mit Bedauern feststellen muss, dass Loki zum Sideshow Bob zu mutieren beginnt (fehlt bloß noch der Rechen, den der Gärtner auf dem Bifröst liegen gelassen hat) und Hulk mit jedem Auftritt ein wenig mehr seiner Würde verliert... die mit 80er-Synthesizern, dummen Sprüchen und unernsten Kloppereien ausgestatteten Handlungsabläufe sind zwar in gewisser Weise redundant, gleichzeitig aber dermaßen sinnesbetäubend, dass man weder die aggressive Cartoonifikation verfilmter Comichelden hinterfragt noch die Verharmlosung eines Plots, der immerhin Genozid auf der Karte stehen hat und somit jede Menge Tote, die vom ausgeflippten Soundtrack nicht etwa betrauert, sondern unauffällig unter den Teppich gekehrt werden.
Waikiki, der selbst als zartbesaiteter Steinklops vor die Kamera tritt, hat in erster Linie viel Freude dabei, die selbstbewusste Gestik und Mimik des gemeinen Superhelden zu demontieren. Wann immer der spielfreudige Chris Hemsworth zur Heldenfanfare antritt, wirft ihm Waikiki mit Freuden einen Ball zwischen die Füße und lässt ihn über den eigenen Elan stolpern; selbiges geschieht mit fast all seinen Wegbegleitern. Dass die herrlich auf fies gestylte Cate Blanchett ihren Feldzug völlig isoliert vom Hulk/Thor-Mainplot antritt, ist dementsprechend konsequent, auch wenn ihr Wirken dadurch etwas unter Wert verkauft wird, denn der Unterhaltungsfaktor sinkt spürbar ab, wenn die omnipotente Todesgöttin Heerscharen von Gegenspielern mit einem Fingerschnippen ins Jenseits befördert.
Da schaut man schon lieber dabei zu, wie sich der dritte „Thor“ abseits der restlichen „Avengers“ zum waschechten Buddy Movie entwickelt, zumal die vereinzelten Cameos anderer Helden, insbesondere derjenige von Benedict Cumberbatch aka Dr. Strange, ganz vorzüglich funktionieren, was man sogar noch mehr von Neuzugang Jeff Goldblum sagen kann, der als selbsterklärter Imperator einen Bombenauftritt hinlegt. Ebenso gelungen das Artdesign, das einer Mischung aus Neill Blomkamps SciFi-Welten und dem Videospiel „Ratchet & Clank“ gleichkommt und den „Trash“ als Kunstform gleichermaßen wörtlich nimmt wie symbolisch versteht.
Wenn man es genau nimmt, ist „Thor: Ragnarok“ also eine Guardians-Of-The-Galaxy-Replik für Arme, bei dem Raumschiffe aus Müllobelisken nachgestellt sind und der coole Oldschool-Rock-Soundtrack von käsigen Synthesizern ersetzt wird. Durch eine Fügung glücklicher Umstände ist diese Selbstimitation aber so doof und offensichtlich, dass sie wieder einen Heidenspaß macht - auch wenn das Ganze mit echtem Zufall bei Weltenkonstrukteur Marvel wohl weniger zu tun hat.