Kalla Malla
Im vollbesetzten Hotel »Jolly Roger« erholen sich die Feriengäste auf der kleinen Insel beim Baden, bei Ausflügen und gutem Essen. Für ausgiebigen Klatsch und Gesprächsstoff sorgt die ehemalige Schauspielerin Arlena Marshall mit ihrer allzu auffälligen Liaison, Mr. Redfern. Als dieser bei einem Bootsausflug Arlena in einer Badebucht erwürgt auffindet, gerät er unter Mordverdacht. Aber auch seine von allen anderen Gästen bemitleidete Ehefrau und der kühle Mr. Marshall hätten wohl ein Motiv für die Tat gehabt. Der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot, der ebenfalls seinen Urlaub hier verbringt, muss sich gehörig anstrengen, um aus den vielen kleinen Puzzlestücken ein Bild des Mordes zusammenzusetzen.
Viele halten »Das Böse unter der Sonne« (»Evil Under the Sun«) für eine schwache Christie-Verfilmung. Das stimmt vielleicht, wenn man den Film rein aus der Krimi-Warte sieht. Der Mordfall und seine Aufklärung schleppen sich etwas belanglos dahin, und die Auflösung hängt an einer Information, die dem Zuschauer vorenthalten wurde. Aber selten hat man so viele Stars sich liebevolle Gehässigkeiten an den Kopf werfen sehen wie hier, und das entschädigt für alles andere.
»Das Böse unter der Sonne« spielt fast gänzlich unter Mitarbeitern des Theater- und Musical-Business, und was sich da vor traumhafter Kulisse (Mallorca) an Intrigen, Bösartigkeiten, Neid und Gier abspielt, ist einfach exquisit. Die Dialoge sind von geschliffenem Witz, und die Schauspieler haben ihre helle Freude daran. Wie Maggie Smith der wunderbaren Diana Rigg bei deren Gesangsvortrag von »You're the Top« (der gesamte Score besteht aus Cole Porter-Songs) die Schau stiehlt, wie Sylvia Miles hinter Riggs Rücken über sie ablästert, um dann ganz schnell ein strahlendes Gesicht aufzusetzen, wie Hercule Poirot, gespielt vom unvergleichlichen Ustinov, hier wirklich als nervender Wichtigtuer gezeichnet wird, das hat alles sehr viel Stil und Klasse.
Zwischen englischem Humor schrägster Art (»Linda, Darling, steh' doch nicht da wie ein Hustenbonbon. Im Übrigen, wenn du dich langweilst, spiel' doch mit den Quallen«) und galligen Wortspielen (»Ich hab' ihn durch den ganzen Lebensmittelladen gejagt. Erst zum Gemüse, dann zum Brot, dann zum Fleisch und bei den Eiern habe ich ihn endlich gepackt«) arbeitet sich »Das Böse unter der Sonne« nach einer sehr schwerfälligen Exposition zur relativ gehetzten Ermittlungsarbeit vor, die schließlich ihr ultimatives Resümee in einer typisch verschachtelten Theorie jeglicher Indizien ohne Beweise erfährt.
Darin wird minutenlang in die Vergangenheit zurückgeblendet, Zweifel ausgeräumt und bedient, Vorurteile bestätigt oder widerlegt, Handlungsdetails zurechtgerückt oder umgedichtet und scheinbar logisch argumentiert, bis die Reizüberflutung, ungeachtet einiger bemerkenswerter Drehbuchschnörkel, allmählich ihre Spuren hinterlässt. Alles wird verknüpft, kalkuliert und überkonstruiert, obwohl die ganz, ganz große, ganz, ganz zufällige und ganz, ganz unerwartete Pointe fehlt – trotz dem wiedergefundenen Diamanten. Das wahre »Böse« unter der Sonne mag nicht ein bis ins Detail geplanter Mord sein (der auf so dünnem Eis basiert, dass er niemals die Chance auf Erfolg haben dürfte), aber die Art, wie Menschen miteinander umgehen. Das ist ganz im Sinne von Agatha Christie - und herrlich »british«.
Bemerkenswert sind noch andere Dinge:
* In der (sehr guten) deutschen Synchronfassung spricht Ustinov selbst!
* Die Kostüme von Anthony Powell gehören zu den bizarrsten und extravagantesten Kreationen aller Zeiten und sind für sich ein Schauwert des Films.
* Peter Ustinov spielte hier nach »Tod auf dem Nil« zum zweiten Mal die Rolle des Hercule Poirot.
* Auch Jane Birkin und Maggie Smith hatten bereits in dieser Verfilmung eines Agatha-Christie-Romans mitgewirkt, Denis Quilley und Colin Blakely in »Mord im Orient-Expreß«.
* Guy Hamilton, bekannt als Regisseur zahlreicher James-Bond-Filme, hatte zuvor bei »Mord im Spiegel« Regie geführt.
Fazit: Nicht nur Sir Peter Ustinov verlieh der überaus gelungenen und unterhaltsamen Agatha-Christie-Verfilmung ein glamouröses Flair. Auch die Britin Maggie Smith, seit jeher Inbegriff für hohe Schauspielkunst, und die schöne Jane Birkin werten »Das Böse unter der Sonne« auf. Als »Friedrich der Weise« dankte Ustinov 2003 von der Kinoleinwand ab. Eric Tills »Luther« sollte sein letzter großer Film gewesen sein. Aber als »Hercule Poirot« aber wird er seinem Publikum wohl auf ewig in Erinnerung bleiben.