Kalla Malla
Rachel Cameron ist Lehrerin, hat in ihren 35 Lebensjahren ihre kleine Heimatstadt noch nie verlassen und Sex hatte sie obendrein noch nicht. Wie auch? Sie lebt mit ihrer Besitz ergreifenden und mauligen Mutter in einer kleinen Wohnung und versorgt deren eingebildeten Leiden. Rachel weiß nicht, was Leben heißt und wird es vielleicht nie lernen, wie sie selbst befürchtet. Auf die Annäherung einer lesbischen Kollegin (Estelle Parsons) will und kann sie nicht eingehen. Doch dann geschieht etwas, was noch nie geschehen ist. Ein Jugendfreund, Nick Kazlik, kommt den Sommer über in die Stadt, um seinen Eltern auf der Farm zu helfen. Er macht sich schnell an Rachel heran - mit ungeahnten Folgen...
1968 gab Schauspieler Paul Newman mit »Rachel, Rachel« (»Die Liebe eines Sommers«) sein Regie-Debüt. In der Hauptrolle brilliert seine Ehefrau Joanne Woodward als Kleinstadt-Lehrerin Rachel. Newmans Drama setzt voll und ganz auf das Talent von Woodward, und obwohl sämtliche Nebendarsteller (insbesondere Parsons als unterdrückt lesbische Lehrerin, die sich aus Einsamkeit der Religion zuwendet) hervorragende Leistungen zeigen, dominiert Woodward den Film. Mit ihren vielen Facetten und Gefühlsregungen widersetzt sie sich jedem Klischee und jeder Typisierung. »Ich habe genau die Hälfte meines Lebens hinter mir. Dies ist mein letzter aufsteigender Sommer, danach rollt alles unweigerlich bergab Richtung Grab«, sagt sie über sich, aber ihr fehlt (noch) die Kraft, ihr Leben zu ändern.
Newman inszeniert sein handlungsarmes Psychogramm äußerst sensibel und entfernt sich so weit wie möglich vom Hollywood-Mainstream. In assoziativen Momenten hören wir Rachels innere Stimme und sehen Kindheitserinnerungen mit den Augen der erwachsenen Rachel. Ein weiteres, mittlerweile gängiges Stilmittel wird von Newman innovativ eingesetzt, und zwar die Bebilderung von Rachels Tagträumen, die wir erst nach kurzem Bruch als solche wahrnehmen. Mit der Konzentration auf seine Hauptfigur schafft er ein beeindruckendes Werk, das viel über seine Protagonisten erzählt, gelegentlich aber auch etwas langatmig wirkt und schwer vorankommt. Wie sehr man den Film mag, hängt davon ab, wie sehr man mit Woodwards Rachel mitgehen möchte, wie sehr sie als Filmfigur interessiert.
Für Hollywood-Verhältnisse ist »Rachel, Rachel« ein erstaunlich zurückhaltendes, unaufgeregtes Drama mit einigen Anleihen bei Tennessee Williams' »Glasmenagerie«. Das berühmte Drama wurde übrigens von Paul Newman erneut mit Joanne Woodward in der Hauptrolle 1987 verfilmt.
»Rachel, Rachel« erhielt Oscar-Nominierungen in den Kategorien »Bester Film« und »Bestes Drehbuch« sowie für Woodward und Parsons als beste Haupt- bzw. Nebendarstellerin, Newman und Woodward wurden jeweils mit einem Golden Globe geehrt.