Michael
Im Prinzip könnte man einen ganzen Aufsatz über die Geschichte von „Das Leben ist langer, ruhiger Fluss“ schreiben, allerdings bin ich der Meinung, dass es dem Film nicht gut tut wirklich auf die Details einzugehen. Der Film lebt davon, dass man lediglich das Grundkonzept der vertauschten Kinder kennt und die Voraussetzung, dass eines der Kinder in gut behüteten aber spießigen Verhältnissen und das andere in ärmlichen, aber fröhlichen Verhältnissen aufgewachsen ist und alle beteiligten nun nach einer Lösung für das Problem suchen.
Aus diesem Konzept strickt Regisseur Étienne Chatilliez (Das Glück liegt auf der Wiese, Tanguy – Der Nesthocker) einen Film am besten als gelungene Satire bezeichnet werden kann. Mit bissigen Pointen hält er der Gesellschaft einen Spiegel vor und obwohl der Film über 25 Jahre alt ist funktioniert das Thema auch heute noch. Die sozialen Strukturen haben sich trotz technischen Fortschritt nicht verändert und so gelten die gezeigten Vorurteile über die jeweilige Gesellschaftsschicht auch heute noch.
Es sind dabei vor allem die kleine Szenen, die den Film zu einem großen Film machen. Wenn zum Beispiel der Priester Auberger die Familie Le Quesnoy besucht und auf seinen Anmerkung, dass es im Haus gut riecht die Antwort bekommt, es sei Montag und es gibt Ravioli und dieser Ausspruch später wiederholt wird, wenn die Groseille-Söhne beim Klebstoff schnüffeln in der Garage erwischt werden, ist dies eine dieser kleinen Szenen. Und von diesen Szenen gibt es einige im Film.
Doch Chatilliez hatte auch das Glück auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen zu können. So ist zum Beispiel der junge Benoît Magimel (Kleine wahre Lügen, Die Möglichkeit einer Insel) in der Rolle von Momo zu sehen, dem Jungen der fälschlicherweise bei der Familie Groseille aufgewachsen ist. Magimel ist durch eine Zeitungsannonce auf die Rolle aufmerksam geworden und hat es nach „Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss“ vom Kinderstar zu einem großen französischen Darsteller geschafft und zeigt bereits in seinem ersten Film was für ein talentierter Darsteller er ist. Und das im zarten Alter von 12! Grandios.
Und auch sein weiblicher Gegenpart spielt wirklich klasse. Zwar war für Valérie Lalande ihre Rolle als Bernadette die einzige Rolle ihrer Filmlaufbahn, doch auch sie spielt so dermaßen gut, dass man stellenweise meint, dass die gar nicht spielt, sondern auch privat das rebellische Mädchen ist, das sie im Film verkörpert.
Im Prinzip kann man bei „Das Leben ist langer, ruhiger Fluss“ über jeden Darsteller im Ensemble etwas Positives schreiben, doch dies würde den Rahmen jeder Filmbesprechung sprengen. Eine Darstellerin muss man allerdings noch hervorheben: Hélène Vincent (Heute bin ich Samba, Locked Out). Sie spielt die Rolle der Marielle Le Quesnoy, also das weibliche Familienoberhaupt der reichen Familie und wie sie ihre Rolle spielt und zeigt, wie ihre Rolle immer mehr die Fassung verliert und nach und nach zu einem Alkoholwrack mutiert ist wirklich beeindruckend. Mit Mut zur Hässlichkeit sticht sich ein wenig aus dem Cast heraus und den César als beste weibliche Nebenrolle 1989 hat sie sicher verdient. [Sneakfilm.de]