Kalla Malla
Die kleine Estrella (Nerea Inchausti) ist die meiste Zeit alleine, da ihre alleinerziehende Mutter Angela (Goya Toledo) tagsüber arbeitet. Die Zeit vertreibt sich das introvertierte und zurückgezogene Mädchen deshalb mit brutalen Horrorfilmen und Büchern. Dies geht so weit, dass sie eines Tages in einer Tiefgarage auf Leatherface, den Killer aus "Texas Chainsaw Massacre" trifft, der ihr jedoch freundlich gesinnt ist und fortan zu ihrem ständigen Begleiter wird. Die Figuren aus den Filmen manifestieren sich immer mehr in Estrella's Realität und werden zu einem festen Bestandteil ihres Alltags. Eines Tages lernt sie einen Vampir (Eduard Farelo) kennen und schließt auch diesen in ihr Herz. Schon bald häufen sich aber die Indizien, dass der Vampir nicht Estrella's Fantasie entspringt, sondern tatsächlich existiert. Und seine Absichten sind alles andere als gut...
Es gibt sicherlich kaum einen Horrorfilm-Fan, der noch nie von "Masters of Horror", jener amerikanischen TV-Miniserie gehört hat, in deren Rahmen sich einige bekannte Regisseure die Ehre gegeben haben, um jeweils eine gut einstündige Horrorgeschichte zu drehen. Mit diesem Vorbild riefen die Spanier 2006 das Projekt "6 films to keep you awake" ins Leben, das den selben Zweck verfolgte und mal wieder einige spanische Genrefilme ins internationale Gespräch brachte. Viele Regisseure ließen sich nicht lange bitten und nahmen an dem Projekt teil, so auch Enrique Urbizu, der jedoch über die Grenzen seines Landes noch keinen nennenswerten Bekanntheitsgrad aufbauen konnte. Zusammen mit "Adivina quién soy", also "A Real Friend", inszenierte er bislang 9 Filme, beispielsweise "La Vida mancha" oder "Box 507".
Für seinen Beitrag zur Horrorfilmreihe schrieb Urbizu gemeinsam mit Jorge Arenillas an einem Drehbuch, das sofort seine Symphatien für das Genre erkennen lässt, denn wenn man sich die Story so durchliest, könnte man durchaus den Eindruck erhalten, dass hiermit eine gutgelaunte Ode an den Horrorfilm dargebracht werden soll. Ein kleines Mädchen, das sich mit Leatherface anfreundet und nebenbei noch Schauergestalten wie Nosferatu und Mr. Hyde kennenlernen darf - klingt verrückt? In der Tat, allerdings ist "A Real Friend" alles andere als ein fröhlicher Partyfilm oder eine gutgelaunte Hommage an das Genre, vielmehr verbirgt sich eine dramatische Erzählung hinter dem Ganzen, was gleichzeitig das größte Problem des Streifens ist.
Von seinem Vertrieb wird "A Real Friend" als Horrorfilm verkauft, in unzähligen Reviews wird er hingegen mehr als Komödie bezeichnet. Nun, was soll man denn nun genau erwarten? So recht passt der Film in keines der beiden Genres, da der Streifen in erster Linie von seiner Atmosphäre dominiert wird - und diese ist nicht schaurig, sondern mehr trostlos und pessimistisch. Estrella lebt vollkommen von ihrer Außenwelt abgekapselt und das wird von Enrique Urbizu auch in den Kulissen und den Settings wiedergegeben. Der Wohnblock, in dem das Mädchen mit ihrer Mutter lebt scheint farblos und menschenleer, einsam, genau wie Estrella selbst. Dem angepasst ist das Tempo des Films auch eher langsam und gemächlich, konzentriert sich auf die Mutter-Tochterbeziehung, bis man am Ende noch erfährt, was es mit Estrella's Vater auf sich hat - was den Eindruck eines Dramas nur noch vergrößert.
Auf der anderen Seite ist da der Horroraspekt, der jedoch - so kam es mir vor - irgendwie deplatziert wirkte, auch wenn Fans des Genres durchaus mal Schmunzeln dürfen. Der Leatherface, mit dem sich das Mädchen anfreundet, sieht dem Original verblüffend ählich, und so ist es dann um so komischer, wenn der Menschenhaut-tragende Koloss mit Estrella gemeinsam die Schulbank drückt und von ihr davon abgehalten werden muss, ihre Klassenkameradinnen zu betatschen. Auch beim Auftritt von Zombies, Nosferatu, sowie einem an Pennywise erinnernden Clown macht sich Freude beim Genrefan breit, auch wenn die Gestalten eher im Hintergrund stehen. Blut sollte man auch eher nicht erwarten, die Freigabe ab 16 verrät an dieser Stelle schon, dass es in "A Real Friend" kaum ernsthaft zur Sache geht.
Die Grundidee des Films ist sicherlich einmalig, jedoch ist es in meinen Augen die letztendliche Umsetzung, welche mehr an ein Drama, als an einen Horrorfilm erinnert, die dafür sorgt, dass Genrefans sich von diesem Werk enttäuscht zeigen dürften. "A Real Friend" kann sich über weite Strecken einfach nicht entscheiden, ob er nun eine dramatische Erzählung über ein vereinsamtes Mädchen, die sich aus diesem Grund in eine Traumwelt flüchtet und letztendlich noch hinter das Geheimnis ihres totgeglaubten Vaters kommt, oder doch nur ein kurzweiliger Horrorspaß sein will. Das Horrorpublikum, für das der Streifen letztendlich gedreht wurde, bekommt allerdings zu wenig zu sehen, als dass es mit dem Streifen wirklich Spaß haben könnte, man sollte sich auf "A Real Friend" eher als Drama einlassen, dass von ein paar humoristischen Momenten und einigen Hommagen an das Horrogenre aufgelockert wird. Positiv ist jedoch zu erwähnen, dass die Schauspieler ihre Parts überzeugend rüberbringen, was besonders für die kleine Nerea Inchausti und ihre Filmmutter Goya Toledo gilt.
Fazit: Aus der Story des Films hätte Enrique Urbizu einen herrlich schrägen Horrorspaß machen können, denn wann bekommt man sonst mal zu sehen, wie sich ein kleines Mädchen mit allerlei bekannten Ikonen aus dem Horrorkosmos anfreundet? Letztendlich geht der Streifen jedoch mehr in die ernste Richtung und präsentiert sich als Drama über Einsamkeit und Alleinsein, was an und für sich nicht gegen "A Real Friend" spricht, hier jedoch sehr unentschlossen inszeniert wurde. Ein ernster Grundton und ein Schulbank-drückender Leatherface passen einfach nicht so recht zusammen, was man auf den kompletten Film übertragen kann. Durch die langsame Erzählweise kommt auch nur selten so etwas wie Spannung auf, auf der Gegenseite finden sich in dem Streifen aber kaum ernsthaft langweilige Szenen.