Kalla Malla
Eine nackte, sich auf dem Bett räkelnde Schöne fordert einen ziemlich spießig aussehenden Mann in den mittleren Jahren auf, mit ihr sadomasochistische Sexspiele zu betreiben. Bei den beiden Personen handelt es sich um den Pariser Publicity-Manager Charles Masson (Michel Bouquet) und um Laura, die Frau seines besten Freundes Francois (Francois Périer). Laura fordert Charles auf, sie zu erdrosseln. Sie bittet ihn immer wieder, verführt ihn zur Tat. Schon in dieser kleinen Sequenz wird klar, dass Charles ein schwacher Mann ist, der sich dem Willen der vermeintlichen Masochistin unterwirft und ihr tatsächlich bei einem S/M-Spiel dann auch die Kehle zudrückt. Vom Augenblick der Tat an plagt ihn das Gewissen. Er spricht mit seinem Freund und seiner Frau und gesteht die Tat. Er möchte seine Schuld sühnen, doch seine bodenständige Frau (Stéphane Audran) und sein Freund raten ihm davon ab. Sie erinnern ihn an seine Verantwortung für Frau und Kinder. Er soll sie durch einen Skandal nicht ins Unglück ziehen. Als Charles sich dennoch entschließt, zur Polizei zu gehen, weil er zu schwach ist, seine Schuld zu tragen und von ihr durch staatliche Strafmaßnahmen erlöst werden möchte, entschließt sich seine Frau, dem Spuk ein Ende zu setzen...
Claude Chabrols »Vor Einbruch der Nacht« (»Juste Avant La Nuit«) aus dem Jahr 1971 war der letzte Film seines »Hélène-Zyklus« und Abschluss einer Reihe von Meisterwerken, zu denen u.a. »Der Schlachter« und »Das Biest muss sterben« gehören.
Der Film wird allgemein als Gegenentwurf zu Chabrols »Die untreue Frau« betrachtet, weil die Handlung fast identische Motive aufweist.
Chabrols Drama weiß von der ersten Filmminute an zu packen und stürzt den Zuschauer in heftige Gewissenskonflikte. Wieder beweist sich Chabrol als Verehrer von Hitchcock. Man möchte nicht, dass Charles von der Polizei gefasst wird, obwohl er ein Mörder ist. Für sein Leiden scheint es keine Erlösung zu geben.
Die Figuren in »Vor Einbruch der Nacht« leben alle in ihrer eigenen Welt. Freund Francois wohnt in einem noblen Haus, das von Gittern umstellt ist (um das Böse fernzuhalten), sein bester Freund Charles aber (der Mörder seiner Ehefrau) hat ungehinderten Zugang. Charles' Ehefrau sind Affäre und Mord des Gatten fast gleichgültig, ihr ist es wichtiger, dass die Weihnachtsgeschenke für die Kinder rechtzeitig eingekauft werden. Selten war die Welt hinter der heilen bürgerlichen Fassade kälter. Neben "Ich beichte" gibt es noch einen konkreten Hitchcock-Verweis, und zwar auf »Psycho«: So brennt Charles' Kollege in der Werbeagentur mit der Kasse durch und wird später von der Polizei gefasst. Auf die Frage, warum er das getan habe, erwidert er nur »Lecken Sie mich am A...!« Charles muss Anzeige gegen den armen alten Mann erstatten, während niemand ahnt, dass er selbst einen Mord auf dem Gewissen hat. So werden die Kleinen gefasst, während die Wohlhabenden (mit größerer Schuld) unantastbar bleiben.
Fazit: »Vor Einbruch der Nacht« ist ein deprimierender Film, weil er den Charakteren und dem Zuschauer keinen Ausweg lässt. Selten war Chabrol so konsequent und hoffnungslos. Nicht nur deswegen ist der Film eine künstlerische Meisterleistung.