Kalla Malla
»Es gibt auf der Welt zwei Kategorien von Menschen: Jäger und Gejagte. Gott sei Dank gehöre ich zu den Jägern und nichts wird daran jemals etwas ändern!« philosophiert der Schriftsteller und Großwildjäger Robert Rainsford (Joel McCrea) großspurig vor seinen Mitpassagieren, kurz bevor das Schiff, auf dem er sich befindet, auf ein Riff läuft und sinkt. Als einzig Überlebender des Schiffsunglücks strandet er folglich patschnass auf einer einsamen Insel, wo er von dem dort lebenden russischen Grafen Zaroff (Leslie Banks) aufgenommen wird. Aber Rainsford ist nicht der einzige Gast des merkwürdigen Grafen: Das Geschwisterpaar Eve (Fay Wray) und Martin Trowbridge (Robert Armstrong) weilt schon länger in dessen Obhut, deren Begleiter sind unter mysteriösen Umständen verschwunden. Zaroff stellt sich bald schon als Psychopath mit Jagdobsession heraus, der sich nicht länger mit Tieren zufrieden gibt: Er jagt Menschen – und Bob und Eve sollen seine nächsten Opfer sein …
»Graf Zaroff« (»The Most Dangerous Game«) aus dem Jahr 1932 gehört zu den ganz großen Klassikern des Horrorfilms, obwohl er eher als Abenteuergeschichte angelegt ist. Doch sind der unheimliche Graf, das mittelalterliche Schloss, seine finstere Dienerschaft inklusive fleischfressender Dobermänner und der vor sexueller Symbolik strotzende Studio-Regenwald so unverkennbar Archetypen des Horrorfilms, dass man ihn getrost diesem Genre zurechnen kann.
Der Film entstand nach der Kurzgeschichte »The Most Dangerous Game« von Richard Connell, und zwar während einer Drehpause von »King Kong«, in der das Drehbuch umgeschrieben wurde und die Zeit genutzt werden sollte. So kommen in beiden Filmen die gleichen Sets zum Einsatz, und so ist es auch kein Wunder, dass die geliebte weiße Frau des Riesenaffen hier den weiblichen Haupt-Part spielt. Graf Zaroff - extrem bedrohlich von Leslie Banks dargestellt - ist wie Bela Lugosis Dracula ein vornehmer europäischer Gesellschafter, kultiviert, belesen, den klassischen Künsten zugetan und vom Scheitel bis zur Sohle unmoralisch, ein Marquis de Sade, der das Töten zum Lustgewinn braucht. Kurzum, er ist die absolute Bedrohung für den aufrechten Amerikaner McCrea.
Die beiden Männer duellieren sich in jeder Beziehung. Sie streiten sich über den Unterschied zwischen Jagd und Mord (die Grenzen sind fließend, wie wir sehen werden - der Großwildjäger wird auf seiner Flucht zum Mörder), sie sind das verzerrte Spiegelbild des anderen, sie teilen die gleichen Leidenschaften. Graf Zaroff ist fasziniert von Robert, er will ihn beherrschen, herausfordern, schließlich töten, doch bewundert er ihn auch und möchte aus dem Gegenüber zunächst einen Partner machen. Wenn er ihn getötet glaubt, zündet er sich eine Zigarette an. Selten waren homoerotische Implikationen deutlicher. Wenn McCrea durch den Dschungel gejagt wird, muss er sich nicht nur als Überlebender beweisen, sondern auch als Beschützer der Frau, als »echter« Mann. Graf Zaroff hingegen zeigt keinerlei Interesse an der Dame, sie ist lediglich leicht zu erlegene Beute. Er will Robert, die »gefährlichste Beute von allen« (so der wunderbare doppeldeutige Originaltitel)... Und das sind lange noch nicht alle Subtexte, die der Film zu bieten hat.
Als relativ gelungen kann man auch die Tricktechnik bezeichnen, die hier noch nicht in so einem hohen Aufwand betrieben wurde wie im parallel entstandenen King Kong. Hier beschränken sich die Tricks noch auf optische Effekte wie Matte Paintings, in denen den Szenen größere Dimensionen verliehen wurde. So handelt es sich z.B. um Zaroffs Festung, wenn sie aus dem Dschungel heraus im Hintergrund zu sehen ist, um eines dieser Matte Paintings. Auch laufen die Darsteller natürlich nicht über tiefe Schluchten, dieser Eindruck entstand erst durch die Hilfe von optischen Tricks. Dafür ist allerdings das sinkende Schiff zu Anfang deutlich als Modell erkennbar. Die Kameraarbeit ist meist statisch, nur selten kann man mal richtige Kamerafahrten sehen.
»Graf Zaroff - Genie des Bösen« hat so viele offizielle und inoffizielle Remakes initiiert, dass man seinen absoluten Kult- und Klassikerstatus neidlos anerkennen muss. Ein wahnsinniger Film, heute wie seinerzeit, und absolut erstaunlich, wie er mit nur 60 Minuten Lauflänge eine so reiche, aufregende Geschichte mit durchaus komplexen Charakteren erzählen kann.
Und wer heute die »Hostel«-Reihe dafür lobt, dass sie Menschenjagden als Symptom einer verrohten Zeit schildert, dem sei gesagt, das ist ein ganz, ganz alter Hut - 1932 von »Graf Zaroff« erfunden. Überrascht?
Fazit: »Graf Zaroff - Genie des Bösen« aus dem Jahr 1932 ist nicht nur ein wahre Perle der Filmgeschichte, sondern auch Mutter aller filmischen Menschenjagden
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