Kalla Malla
Um einen guten Eindruck zu machen, erscheint der junge Wärter Juan Oliver schon einen Tag vor dem eigentlichen Antritt seines neuen Jobs im Gefängnis, zumal er sein neues Arbeitsumfeld bei dieser Gelegenheit direkt schon einmal in Augenschein nehmen kann. Bei einem Rundgang durch die Anstalt wird Juan in Folge eines Unfalls jedoch leicht am Kopf verletzt und verliert sein Bewusstsein, woraufhin ihn zwei seiner Kollegen provisorisch in die leerstehende Zelle 211 bringen, um anschließend medizinische Hilfe anzufordern. Dazu soll es allerdings nicht mehr kommen, bricht doch just in diesem Augenblick ein brutaler Aufstand der Gefangenen des Hochsicherheitstraktes los. Der noch immer weggetretene Juan wird von den völlig überrumpelten Wärtern in Zelle 211 zurückgelassen und findet sich, kaum wieder bei Bewusstsein, plötzlich völlig auf sich allein gestellt, inmitten der Revolte wieder. Zwischen eiskalten Mördern, Vergewaltigern und Psychopathen erkennt der junge Wärter seine einzige Überlebenschance darin, sich als neuer Insasse auszugeben. Dies weckt kurz darauf das Interesse von Malamadre, des ebenso charismatischen wie diabolischen Anführers der Revolte, der ebenfalls auf Juan's Tarnung hereinfällt und ihn kurzerhand zu seiner neuen Vertrauensperson erklärt. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als Malamadre drei einsitzende ETA-Mitglieder als Geiseln nimmt und diese zu exekutieren droht, falls die Regierung sich weigern sollte, seine Forderungen zu erfüllen. Juan gerät derweil durch ein tragisches Ereignis zwischen die Fronten und muss sich alsbald die Frage stellen, auf welcher Seite er denn eigentlich steht...
Das europäische Kino ist auf dem Vormarsch und beweist uns mit dem ebenso spannenden wie raffinierten Gefängnisthriller Cell 211 einmal mehr, dass sich Hollywood so langsam wirklich in Acht nehmen muss. In seinem Heimatland Spanien als achtfacher Abräumer des begehrten Goya-Filmpreises längst ein voller Erfolg bei Kritikern und Publikum gleichermaßen, schickt sich Daniel Monzóns schonungslose Tragödie über Chaos, Verrat und den Preis der Menschlichkeit nun endlich an, auch den internationalen Markt aufzurütteln und auch hier wäre diesem mutigen Werk ein größtmöglicher Erfolg nur zu wünschen. Fernab weichgespülter Klischees einer nur mehr gewinnorientierten Traumfabrik, präsentiert sich diese Verfilmung des gleichnamigen Romans von Francisco Pérez Gandul in ihren 108 Minuten als konsequenter und schnörkelloser Nägelkauer, welcher seinem Publikum durch eine Vielzahl unvorhergesehener Wendungen und eine anspruchsvolle, möglichst realistische Inszenierung durchgehend die Schweißperlen auf der Stirn hält. Zu Gunsten der Authentizität tatsächlich in einem stillgelegten Gefängnis gedreht und darüber hinaus mit großartigen Schauspielern besetzt, scheint es also, als würde Cell 211 seinem vorauseilenden Ruf absolut gerecht werden - wären da nicht einige plotinterne Ausrutscher, welche innerhalb des stimmigen Gesamtbildes leider ebenso deplatziert wirken wie eine gewisse Langatmigkeit im Mittelteil.
Auch, wenn Cell 211 somit nicht in jeder Hinsicht das versprochene Meisterwerk darstellt, so vermögen es diverse Patzer erfreulicherweise nicht, den Film seiner ganz eigenen, dynamischen Atmosphäre zu berauben. Mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln zaubert Daniel Monzón den glaubwürdigen und klaustrophobischen Mikrokosmos einer knallharten Gefangenenrevolte auf den Bildschirm, in der Schwäche und Mitleid keinen Platz finden und wo sich der Einzelne seinen Platz mit zügelloser Härte erkämpfen muss. Dem angemessen lassen die Verantwortlichen hier dramaturgisch auch nichts anbrennen und entfachen das Inferno des Aufstandes auch schon nach kürzester Zeit, während Charakterisierungen und diverse Nebenplots später wie selbstverständlich in die komplexe Handlung eingewoben werden. Schnell wird ersichtlich, dass Cell 211 als offensichtlich höchster Maßstab mit den Koventionen der für das Genre üblichen Inszenierung bricht und beinahe durchgehend auf einen realitätsnahen, dokumentarischen Stil setzt: Die Kamera stets dicht am Mann haltend und dem Geschehen aus nächster Nähe folgend, ermöglicht uns Regisseur Monzón eine problemlose Identifikation mit dem jungen Schließer Juan Oliver, der sich durch einen Unfall in dieser gleichwohl chaotischen, wie auch lebensbedrohlichen Ausnahmesituation wiederfindet. Umgeben von einer regelrechten Hundertschaft an Mördern und Schwerverbrechern weiß Juan, dass sein Leben keinen Pfifferling mehr wert ist, sollte seine Tarnung auffliegen, woraus sich dann zunächst auch die grundlegende Spannung des Films ergibt. Völlig von der Außenwelt abgeschnitten, muss der Hauptprotagonist die ihm so vertrauten Werte der Moral hinter sich lassen, um seine Tarnung vor den anderen Häftlingen aufrechtzuerhalten, was letztlich auch das Publikum zu einer persönlichen Reflexion der Ereignisse zwingt und einen mit der Frage konfrontiert, wie man selbst in einer solchen Situation handeln würde.
Obgleich Cell 211 als perfides und spannendes Katz- und Mausspiel zunächst hervorragend funktioniert, wird alsbald ersichtlich, dass diese Handlungsgrundlage einen 108-minütigen Thriller alleine nicht tragen würde, was schließlich auch die eine oder andere Wendung in die Wege leitet, mit denen man in der jeweiligen Form nicht immer gerechnet hätte. Und obwohl dies den Unterhaltungswert aufrecht erhält und den Film nicht auf dem selben Punkt stagnieren lässt, so leistet sich Monzón im fortschreitenden Verlauf der Handlung dann doch die eine oder andere Unglaubwürdigkeit, welche diversen Ereignissen einen erzwungenen Beigeschmack verleiht und den Zuschauer somit ausgerechnet den ansonsten so elementaren Realitsgehalt von Cell 211 in Frage stellen lässt. Auch dies wertet den Film noch nicht gänzlich ab, raubt ihm aber ohne Frage einen Teil seiner aussagekräftigen Brisanz, um ihn letztlich zur bloßen, zweckdienlichen Unterhaltung verkommen zu lassen. Als solche funktioniert das spanische Erfolgswerk dann allerdings mindestens so mitreißend wie anspruchsvoll und ist sich darüber hinaus auch dem einen oder anderen Gewaltakt nicht zu schade, welche die Brutalität der Revolte glaubhaft visualisieren. Gerade eine überaus blutrünstige Exekution, die zudem eine der Schlüsselszenen im Film darstellt, hätte Cell 211 bei einer weniger gutmütig eingestellten Prüfungskommission ohne Frage auch das 18er-Siegel einbringen können, obgleich Monzón derlei Schauwerte niemals in den Vordergrund zu schieben versucht.
Im Zentrum des Geschehens stehen die Charaktere, wobei neben dem unbedarften Aufseher Juan vor allem der gefürchtete Bandenführer Malamadre eine zentrale Position einnimmt. Die Interaktion dieser beiden grundverschiedenen Figuren bildet schließlich auch das A und O des Films und behaftet das Ganze bisweilen gar mit Anleihen des menschlichen Dramas, ohne dabei aber die Ereignisse im Zuge der Revolte zu kurz kommen zu lassen. Gleichermaßen gewitzt und charismatisch, hintersinnig und mörderisch ist Malamadre dabei der perfekte Antagonist, der von dem bekannten, spanischen Schauspieler Luis Tosar zudem mit Bravour verkörpert wurde. Angesichts dieser geradezu atemberaubenden Leinwandpräsenz und einem derart diabolischen Facettenreichtum ist es sicherlich nicht zu weit hergeholt, zu behaupten, dass Tosar hier die beeindruckendste Leistung seiner bisherigen Karriere hinlegte. Der absolute Newcomer Alberto Ammann schlägt sich in der Rolle des Juan derweil auch tadellos, während viele der sonstigen Nebendarsteller und Statisten gar von tatsächlichen Häftlingen verkörpert wurden und damit eine größtmögliche Glaubwürdigkeit in ihr Spiel legen.
Fazit: Insgesamt vereint Cell 211 gekonnt und dramaturgisch souverän die Elemente eines Gefängnisthrillers mit denen der unverblümten Sozialkritik. Leidenschaftliches Schauspiel, ein wendungsreicher Plot und ein bitterer, zum Nachdenken anregender Nachgeschmack lassen die Gründe für den bisherigen Erfolg des Filmes zudem nicht lange unkenntlich bleiben, doch erweist sich Daniel Monzón's preisgekröntes Regiewerk leider auch als ebenso zweischneidige Angelegenheit. Vereinzelte Längen trüben den Gesamteindruck ebenso wie einige Logiklücken, welche dem ansonsten vorherrschenden Realismus eher abträglich sind. Was bleibt ist dennoch ein starker und mitreißender Thriller, dem man trotz vereinzelter Makel eine Chance einräumen sollte und der sicher auch hierzulande noch für Aufsehen sorgen wird.