Kalla Malla
Es hat einen Unfall gegeben. Ein Wagen, ein sportlicher Alfa Romeo, steht in Flammen. Schaulustige haben sich um den Unglücksort versammelt. Endlich erscheint auch die Polizei. Es sieht nicht gut aus. Und dann spult Regisseur Claude Sautet zurück. In kurzen, stakkatohaften Szenen sehen wir, wie sich der zerstörte Wagen wie von Geisterhand repariert. Wie er Purzelbäume zurück auf die Straße schlägt. Zum ersten Mal blicken wir in das Gesicht des Unglückfahrers. Ein Mann um die 40. Angegraut, buschige Augenbrauen. Blanke Panik steht in seinen Augen. Der Wagen beschleunigt. Rückwärts geht es durch die Zeit. Aus Tag wird Nacht. Überblende. Derselbe Romeo parkt, nun wieder (noch immer?) in voller Pracht vor einem mehrstöckigen Wohnhaus. Die Kamera zoomt in ein Apartment, blickt durch die verschlossenen Vorhänge - und mitten auf Romy Schneider, die splitternackt, den Po in die Kamera gereckt, neben dem Unglücksfahrer im Bett liegt.
Der Mann heißt Pierre Bérard, erfahren wir bald, ist Architekt und Romy Schneider, nein, Hélène, seine Freundin. Eigentlich sind sie glücklich, wollen für einige Jahre nach Tunis auswandern, aber Pierre zweifelt daran, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Die Reise würde ihn von seinem Sohn trennen und von seiner Frau Catherine, mit der er noch immer - ja! - ernsthaft befreundet ist. Schneider spielt gut, aber getragen wird der Film von Michel Piccoli, der ein Alphamännchen porträtiert, das, sobald es die Gefühlwelt angeht, völlig sprachlos dasteht. Einen Mann, der seine Verletzlichkeit nur zeigen kann, wenn er alleine ist und in Gefahr läuft, einen fatalen Fehler zu begehen.
»Die Dinge des Lebens« ist ein wunderbares Beispiel für die Kunst des französischen Kinos, Leichtigkeit und inhaltliche Tiefe miteinander zu verbinden. Der Film verweigert sich dabei einer kontinuierlichen Erzählweise, die Erinnerungen werden bruchstückartig aneinander gereiht und ergeben erst im großen Bild und dem Kopf des Zuschauers die komplette Geschichte. Die Darsteller sind exzellent in ihrer realistischen Spielweise, insbesondere natürlich Piccoli und die wunderbare Romy Schneider, die hier in einem ihrer besten Filme zu sehen ist. Der Film entgeht jeder Oberflächlichkeit und jedem Kitsch mühelos und man bemerkt fast nicht, dass die ganz einfachen Dinge des Lebens, von denen er erzählt, gleichzeitig auch die schwierigsten und tiefgründigsten Dinge des Lebens sind.
Fazit: Ein moderner Klassiker, filmisch faszinierend und so viel besser als das öde US-Remake »Begegnungen«, das auf jeden Fall zu vermeiden ist!