Kalla Malla
Ein mittelständisches Paar wird abends beim Essen von einer Bande Jugendlicher in ihrem Haus überfallen, zusammengeschlagen und gefesselt. Nach kurzer Zeit stellt sich allerdings heraus, dass die Bande nicht wegen ihnen gekommen ist oder einen Raubüberfall durchziehen möchte. Viel eher warten sie auf den Sohn der Familie, der sie wegen Drogen bei der Polizei verpfiffen hat und deswegen einer von ihnen 10 Jahre in den Bau musste. Von Anfang an machen die Jugendlichen dem Ehepaar klar: "Wir warten auf Sebastian. Und wenn er kommt, schlitzen wir ihm die Kehle auf!"
Für einen Home Invasion Film, ist das definitiv eine recht neuartige Idee. Denn es geht hier primär nicht um die Angst vor dem Verlust des eigenen Lebens, sondern darum, dass die Opfer genau wissen, dass ihr Sohn heute Nacht sterben wird. Der Film selbst setzt eigentlich alles auf genau diese Idee und versucht, durch ambivalente Charakterzeichnungen sowie der recht sperrigen Inszenierung, eine Art Studie zu kreieren.
Das fängt beispielsweise damit an, dass die Eindringlinge sich allesamt unterschiedlich verhalten. Einer reagiert unkontrolliert und regelrecht im Affekt, während der andere eher aus rein pekuniären Gründen mitmacht und der Dritte im Bunde sich immer wieder bei den Opfern entschuldigt und ihnen zu erklären versucht, dass sie nur wegen ihrem Sohn da sind, der die ganze Gewalthandlung erst losgetreten hat.
Außerdem folgt der Film in einigen Momenten nicht wirklich dem offensichtlichen Geschehen. Zum Beispiel dann, wenn der Anführer der Bande die Frau ins Nebenzimmer schleift und die Kamera plötzlich für die nachfolgenden Minuten nicht den beiden folgt, sondern auf den am Boden liegenden, geknebelten Vater hält. Man kann somit nur erahnen, was gerade mit seiner Frau im Nebenraum passiert und genau wird man es bis zum Ende nicht erfahren. Hat er sie vergewaltigt? Gefoltert? Oder einfach nur woanders hingeschleift?
Leider hat "Cherry Tree Lane" aber das Problem, dass das Ehepaar dem Zuschauer nicht richtig vorgestellt wurde. Man hatte zwar zu Anfang des Filmes 5 Minuten Gerede am Esstisch, aber wirkliche Bindung kann man zu den beiden nicht aufbauen. Eben genau deswegen, weil der Film mit knapp über 70 Minuten nur eine sehr kurze Laufzeit hat und er die Einbrecherbande viel zu schnell ans Werk gehen lässt. Dadurch geht dem Streifen einfach die Intensität in den "ungewöhnlichen" Szenen (wie der oben beschriebenen) ab, obwohl er auf genau die zu setzen scheint.
Allerdings greift an der Stelle wieder die Inszenierung des Filmes, der höchstwahrscheinlich nie als reinrassiger Thriller/ Terrorfilm geplant war. Wenn es in der Handlung von "Cherry Tree Lane" darum geht, dass die Bande im Film noch eine Stunde auf den Sohn warten muss, dann zeigt das der Film. Und zwar eine Stunde lang. Was natürlich auch in vielen beliebigen und regelrecht langweiligen Szenen gipfelt, wo die Jungs einfach bloß abhängen und Joints rauchen. An der Stelle bin ich jetzt zwiegespalten: Erfreue ich mich am konsequenten Realismus - an der ungekürzten Abhandlung einer solchen Tat, oder verdrehe ich gelangweilt die Augen, weil ich einen richtigen Spielfilm mit angenehmen Pacing sehen möchte?
Dann gibt es ja noch das Ende, welches in seinem Ablauf dem Film entsprechend konsequent ist, aber doch sehr heruntergebrochen daherkommt. Wo man bis zum Ende noch auf einen wirkungsvollen Twist wartet, weil man immer das Gefühl hat, es müsse noch etwas kommen, ist die Ernüchterung am Ende groß. Es werfen sich viele Fragen auf; unter anderem auch die, wer denn jetzt überleben wird. Wenn dann bei einem ultra fiesen Cliffhanger der Abspann ins Bild rollt, nimmt man es "Cherry Tree Lane" aber irgendwie doch nicht übel. Man erkennt die Absicht des Filmes, eher sperriges, Arthouse-artiges Kino zu sein und stört sich somit auch nicht an dem für den Zuschauer sehr unerfreulichem Ende.
"Cherry Tree Lane" ist ein ungewöhnlicher, aber trotzdem sehenswerter Home Invasion Film. Es ist kein Film, der den Regeln eines Unterhaltungsmediums folgt, sondern mehr eine Skizze, eine Gewaltstudie. Leider scheitert er an einem: Sein größter Konkurrent in Form von Michael Hanekes "Funny Games" war auch kein Streifen, der sich an Regeln gehalten, oder der Erwartungshaltung des Zuschauers entsprochen hat. Und trotzdem war er intensiver und im Ganzen irgendwie runder.