Kalla Malla
Alfred Hitchcock's »Die Vögel« (»The Birds)« ist ein Meisterwerk des Schreckens und hat nach seinem Erscheinen ganze Scharen von Nachahmern gefunden, die sich bis heute halten.
Ein ganz normaler Tag in Kalifornien. Society-Lady Tippi Hedren begegnet Anwalt Rod Taylor, der von zickigen Frauen gar nichts hält und sie launisch vorführt. Um ihm eins auszuwischen, macht sich Tippi mit zwei Sperlingspapageien und Sportwagen auf, ihm einen Besuch in der verschlafenen Küstenstadt Bodega Bay abzustatten. Dort aber attackieren plötzlich Vögel in immer größeren Zahlen die Bevölkerung...
Hitchcock spielt wie üblich gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers. Der Film beginnt als sprühende Screwball-Comedy, und es dauert lange, bis es endlich zum lange erwarteten Vogel-Angriff kommt. Dann aber steigern sich die Attacken schnell und intensiv zu immer bedrohlicheren, beängstigenden Szenarien, bis schließlich Tippi Hedren (brillant in ihrer ersten Filmrolle als archetypische Hitchcock-Blondine, die von der Kritik nie gewürdigt wurde) alleine einer Invasion der gefiederten Freunde auf dem Speicher des Taylor-Hauses gegenüber steht und der Film eine apokalyptische Wendung nimmt.
Faszinierend neben den vielen Spezialeffekte ist das Fehlen von klassischer Filmmusik, die durch experimentelle Tonmixe ersetzt wird (Hitchcock-Hauskomponist und Musikgenie Bernard Herrmann überwachte diese Soundmischung). Auch das Fehlen jeder Motivation für die Vogelangriffe trägt zur Wirkung des Schockers bei.
Viele Momente sind unvergesslich - das Auffinden der Leiche eines Farmers, bei der Hitchcock mit Jump Cuts an den Toten heranspringt, bis man nur noch seine blutigen Augenhöhlen sieht (»Psycho« wieder einmal), der Überfall auf das Dorf, bei dem Hedren und Gäste eines Restaurants das Geschehen in Freeze Frames verfolgen, Tippi Hedrens Kampf in einer Telefonzelle, um die herum sich die Hölle abspielt, sowie der Angriff auf das verbarrikadierte Brenner-Haus, bei dem kaum Vögel zu sehen, aber zu hören und zu spüren sind, eine Sequenz voll beklemmender Spannung und Klaustrophobie. Wenn danach die Kamera rückwärts durchs Haus fährt und die Darsteller einzeln aus der Untersicht »abholt« (»Sie ziehen ab... hört ihr?«), ist das ein ebenso grandioser wie beunruhigender Moment.
Nach dem Riesenerfolg von »Psycho« fand sich Hitchcock in der Verlegenheit, seinen Hit toppen zu müssen und ging deshalb einen völlig anderen Weg. Die Kritiker mochten »Die Vögel« nur bedingt (so ging es Hitchcock mit allen weiteren Filmen), aber sie hatten auch schon »Psycho« beim Erscheinen falsch eingeschätzt und mussten später ihre Meinung revidieren. Genau wie sein Vorgänger steckt auch »Die Vögel« voll schwarzen Humors (besonders in der Restaurant-Szene: »Kommt, esst schnell auf, Kinder!« - »Essen die Vögel uns sonst alle auf, Mami?«), der sich erst bei mehrmaligem Sehen voll erschließt. Als ich »Die Vögel« als Kind im Nachtprogramm der ARD sah, war ich wochenlang traumatisiert - auf gute Weise! Was für ein Film!
Fazit: »Die Vögel« ist ein Meisterwerk, in dem man immer wieder neue Details entdecken kann, und der dank seiner Technik und formalen Brillanz heute noch funktioniert wie einst.