Kalla Malla
Washington D.C. um 1860: Der Politiker Austin Stoneman (Ralph Lewis) kämpft für ein Ende der Sklaverei. Er hat drei Kinder, die hübsche Tochter Elsie (Lillian Gish) und zwei Söhne. Die beiden sind mit den Sprösslingen des Cameron-Clans befreundet, einer alteingesessenen Südstaaten-Sippe, die in South Carolina eine Baumwollplantage betreibt. Während Stoneman-Sohn Phil (Elmer Clifton) sich bald in die Cameron-Tochter Margaret (Miriam Cooper) verliebt, verliert Benjamin (Henry B. Walthall) sein Herz an Elsie. Diese Beziehungen werden auf die Probe gestellt, als sich der Süden für unabhängig erklärt und 1861 der Bürgerkrieg ausbricht. In den Schlachten fallen auch Mitglieder der beiden Familien. Mit dem Sieg des Nordens ist der Hass zwischen den beiden Landesteilen noch nicht überwunden. Die Ermordung von Präsident Abraham Lincoln (Joseph Henabery) am 14. April 1865 durch John Wilkes Booth (Raoul Walsh) sorgt für weiteren Zündstoff. Im Süden beginnen die Schwarzen daraufhin unter Führung des Mulatten Silas Lynch (George Siegmann), ihre neugewonnene Macht gnadenlos auszuspielen. Sie manipulieren die Wahlen, übernehmen das Parlament und versuchen, ihre vormaligen Herren in die Knie zu zwingen. Als Gegenwehr bilden einige geknechtete Weisse den Ku-Klux-Klan.
Der Monumentalfilm »Geburt einer Nation« (»Birth of a Nation«) war seit jeher umstritten. Nach seiner Entstehung 1915 machte man dem Regisseur David Wark Griffith Vorwürfe, deren Brisanz bis heute anhält: »Birth of a Nation« sei zutiefst rassistisch, hieß es; Griffith zeige ein geschöntes Bild der amerikanischen Südstaaten vor dem Sezessionskrieg (1861-1865). Die Filmhandlung rankt sich um diesen Krieg, dessen Anlass grundlegende Differenzen zwischen Nord und Süd waren, in wirtschaftlichen wie sozialen Fragen - namentlich was die Sklaverei anlangt: Die Südstaaten hielten an ihr fest; sie waren wegen der Wahl Abraham Lincolns zum US-Präsidenten aus der Union ausgetreten und hatten sich zur Konföderation zusammengeschlossen. Dagegen trat der fortschrittlichere amerikanische Norden für die Befreiung der Schwarzen an. Die Konföderierten verloren den Krieg.
Bereits die Vorlagen zum Film sind problematisch: »The Leopard's Spot« und »The Clansman« von Thomas Dixon sind die ersten Teile einer Romantrilogie über den Ku-Klux-Klan. Griffith inszenierte das Material als Liebesgeschichte vor historischem Hintergrund: Die Familie Stoneman repräsentiert den strengen, abolitionistischen Norden, während der alte Süden am Beispiel der Familie Cameron als beschauliche, liebevoll patriarchalisch geführte Gesellschaft skizziert wird: Die Sklaven arbeiten zwar zwölf Stunden täglich, haben aber auch zwei Stunden Mittagspause, während der sie von ihren fürsorglichen Besitzern besucht werden; zur Begrüßung gibt es ein Tänzchen. Die Idylle endet mit Beginn des Sezessionskriegs; bald haben beide Familien Opfer zu beklagen. Die Camerons verlieren indes nicht allein zwei ihrer drei Söhne, der Süden leidet nach der Niederlage allenthalben unter der Willkür der nun herrschenden »Schwarzen und Nordstaatengauner« (so ein Zwischentitel).
Im Verständnis dieses Films entsteht der Ku-Klux-Klan als Akt der Notwehr entrechteter Südstaatenweißer gegen das neue Regime. Dem überlebenden Sohn der Camerons kommt die Idee zu dieser Vereinigung, als er einmal verzweifelt am Fluss sinniert und weißen Kindern dabei zusieht, wie sie unter einem Bettlaken hervor die Kinder einstiger Sklaven erschrecken. D. W. Griffith setzt den Ku-Klux-Klan ins Recht auch durch Szenen, in denen ein Schwarzer die jüngste Tochter der Camerons im Wald bedrängt und sie aus Angst vor Vergewaltigung von einem Felsen in den Tod springt. Das Mädchen wird tief betrauert von den schwarzen Dienstboten der Familie, »treuen Seelen«.
Mit »Geburt einer Nation« etablierte Griffith die Filmsprache ästhetisch - durch Parallelmontagen, Rückblenden, Ausblenden, Nachtaufnahmen, Kamerafahrten, Panoramaschwenks und meisterhaft choreografierte Massenszenen. Das hatte es so noch nicht gegeben. Das Konzept wird beschrieben als "writing history with lightning". Erfolgreich war es auch im übertragenen Sinn: Ohne »Birth of a Nation« wären etwa Regisseure wie Sergej Eisenstein und Theoretiker wie Gilles Deleuze nicht denkbar. Griffith' Film ist zudem nicht nur das erste Epos der Kinogeschichte (und, wenn man so will, der erste Propagandafilm), sondern auch das erste über Gründungsmythen der USA. Das Attentat auf Präsident Lincoln wird ebenso eindrucksvoll behandelt wie der Brand von Atlanta. Auch die wohl erste Wahlmanipulation in der Filmgeschichte findet sich hier: Nach dem Krieg werden die Weißen im Süden von Wahlen ausgeschlossen und alle Ämter mit Schwarzen besetzt.
Mit »Geburt einer Nation« erfand sich der Film als Massenmedium: Die Leute rannten geradezu in diesen Film, der rund 110 000 Dollar kostete und - damals sagenhaft - zwischen 50 und 100 Millionen Dollar einspielte. Manchenorts wurde demonstriert gegen den Rassismus in »Birth of a Nation«. In einem Bericht des »New York Globe« vom 6. April 1915, wird dem Regisseur vorgeworfen, aus Rassenhass Geld zu machen. Dass »Birth of a Nation« für die »Verteidigung des arischen Geburtsrechts« plädiert, dass kein Mulatte hier sympathische Züge aufweist - das und anderes lässt sich nicht schönreden. Und doch ist die Kritik am Missbrauch von Macht ein Generalthema des Films: Griffith beklagt korrupte und radikale Politik im Vorspann wie in Zwischentiteln. Hund und Katze - das ist das Bild, mit dem Griffith eingangs seine Antipoden symbolisiert. Die naive Hoffnung des Regisseurs gilt der »brüderlichen Liebe«; am Ende eint er Nord und Süd in der Ehe.
Fazit: Einer der wichtigsten und revolutionärsten Filme der Kinogeschichte, mit monströsen cineastischen Ausmaßen und wegweisender Technik. Sollte jeder gesehen haben, der sich filmhistorisch interessiert.