Kalla Malla
Der subversive Filmkünstler Louis Bunuel hat mit »Belle de Jour - Schöne des Tages« seinen größten Publikumshit gelandet, dessen Einfluss bis heute spürbar ist. Ken Russells »China Blue« zum Beispiel ist eine unverhüllte Variation auf Bunuels Film. Das Gesellschafts-Drama erzählt von der jungen, schönen Ehefrau Séverine, die ihre heimlichen erotischen Gelüste als Prostituierte auslebt, während sie sich ihrem Ehemann konsequent verweigert. Doch ihr Doppelleben hat fatale Konsequenzen für alle Beteiligten.
Hauptanziehungspunkt des Films ist Catherine Deneuve, deren Schönheit, Unschuld und zurückhaltende, beinahe teilnahmslose Darstellung (dazu spricht sie kaum und bleibt bis zum Schluss ein Mysterium) ungemein faszinieren. Der Film beobachtet sie wie ein Studienobjekt, erzählt niemals aus ihrer Sicht und erlaubt ihr kaum Emotionen, doch lebt er gleichzeitig von Deneuves einzigartiger Präsenz.
»Belle de Jour« ist für seine Zeit äußerst freizügig, was sein Thema angeht, wenngleich nicht in der Darstellung. Die Fantasien der jungen Séverine werden von Bunuel in surrealen Szenen eingefangen, die wie Traumsequenzen in die Handlung eingefügt werden und sich nicht logisch, aber psychologisch entschlüsseln lassen. Obwohl sich Bunuel eines offenen moralischen Kommentars entzieht und seine Figuren lieber kühl beobachtet, fügt er sich letztlich doch in ein moralisches Universum, denn die Frau, der er so viele Freiheiten gestattet, wird schlussendlich für eben jene Freiheiten bestraft. Man kann sich auch darüber streiten, ob Séverines Verlangen nach Demütigung und Unterdrückung (in einem ihrer Tagträume wird sie gefesselt und mit Schlamm beworfen) nicht letzlich Männerfantasien sind. Aber das ist nur ein kleiner Einwand gegen ein künstlerisches, höchst intelligentes Filmwerk voll exquisiter Bildsprache, Obsessionen und detailgenauen Beobachtungen der französischen Gesellschaft.
Äußerst bemerkenswert an »Belle de Jour« ist auch die Tatsache, dass dies einer der ersten Filme überhaupt ist, der nicht nur die Phantasien einer masochistischen Frau zeigt, sondern diese auch völlig unbewertet lässt. Zwar wird Sévérine in ihren Träumen häufiger von ihrem Mann bestraft. Doch erscheint dies mehr als ein Ausdruck ihres schlechten Gewissens gegenüber ihrem sie als frigide betrachtenden Ehemann, als eine Form von einer wie auch immer moralisch gerechtfertigten Strafe. Und da Sévérine als ganz offensichtliche Masochistin gerade diese Strafen besonders genießt, bleiben gerade auch diese Träume selbst bei wiederholter Betrachtung stets äußerst ambivalent.
Catherine Deneuve war diese Rolle einer gut situierten, kühlen und sicherlich auch skrupellosen Frau auf den Leib geschnitten. Das Hin und Her zwischen tief sitzender, aber eingesperrter Angst und kalt verfolgtem Begehren in einer räumlich abgespaltenen zweiten Welt, die nur Spiegelbild der ersten ist, bedarf eines Einfühlungsvermögens, das die Deneuve für solche Rollen prädestinierte. Jean Sorel als ihr Ehemann hatte es da wesentlich leichter mit seiner Rolle, und dennoch überzeugen er und vor allem Michel Piccoli in ihrem Spiel durchaus.
Fazit: Luis Buñuels »Belle de Jour« ist einer dieser äußerst seltenen Filme, die zunächst relativ schlicht erscheinen, die aber zugleich eine seltsame Faszination beim Betrachter hervorrufen und dessen letztendliches Geheimnis selbst bei wiederholter Betrachtung niemals vollständig ergründet werden kann. Dieser Film ist ein reifes Spätwerk eines der großen Visionäre des Kinos und ein ganz großes Werk des Surrealismus. Bis heute hat »Belle de Jour« nichts von seiner Faszination verloren.