Kalla Malla
Der Roman von Leo Tolstoi ist mehrfach verfilmt worden, doch Greta Garbo ist als Titelheldin »Anna Karenina« die Unvergesslichste, selbst wenn der Film dem Buch kaum gerecht wird. Diese amerikanische Version aus dem Jahr 1935 nimmt im Grunde nur das Handlungsgerüst und verwandelt Tolstois Geschichte in ein Melodram der großen Gefühle, bei dem insbesondere die Nebenfiguren sämtlich eingekürzt und zu Statisten verdammt werden, dabei werden alle von ausgezeichneten Darstellern gespielt wie Basil Rathbone, Maureen O'Sullivan, Reginald Owen.
Alle Kritik am Hollywoodschen Umgang mit der Vorlage ist aber unbedeutend aufgrund eines Namens: Greta Garbo. Sie ist der Film. Sie IST »Anna Karenina«. Dies ist eine von Garbos eindringlichsten Darstellungen. Als Minimalistin kommt die Schauspielerin mit nur wenigen Mitteln aus, um der Figur Anna alle Tiefe zu verleihen, eine unschuldige Frau, die sich der Liebe schuldig macht und dafür bestraft, verstoßen und gedemütigt wird, bis sie schließlich keinen Ausweg außer dem Tod mehr findet. Gerade die Schluss-Sequenz ist ein Paradebeispiel für Garbos Kunst - in ihrem Gesicht spielt sich die ganze Tragik ihrer Geschichte ab, und doch bleibt es fast unbewegt. Das ist natürlich auch dem brillanten Kameramann William Daniels zu verdanken, der viele von Garbos Filmen fotografiert hat.
Die damals sehr strengen Zensurvorschriften führten dazu, dass wesentliche Bezüge des Romans nicht auf der Leinwand erscheinen durften, und so waren die Drehbuchautoren gezwungen, eine eigene Version der Ereignisse zu erzählen. Die Wahl von Clemence Dane und Salka Viertel war in den Augen von Selznick nicht optimal, der den beiden älteren Damen nicht recht zutraute, so etwas wie Leidenschaft und Passion in die Geschichte zu bringen. Bemerkenswert ist die Eröffnungssequenz, in der Garbo aus dem Rauch einer Eisenbahn praktisch wie eine Erscheinung auftaucht. Diese Einstellung wird am Schluss variiert, wenn die Schauspielerin wieder an einem Bahnsteig steht und ohne jede Regung im Gesicht plötzlich aus dem Bild verschwindet, da sich der Charakter vor den fahrenden Zug geworfen hat.
Fazit: »Anna Karenina« hat seine Schwächen. Aber allein dank Greta Garbos Darstellung bleibt der Film ein echter Klassiker und die mit Abstand beste und eindringlichste Verfilmung der berühmten Vorlage.