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FILMKRITIK: „THE HOLDOVERS“
Vielleicht kennt ihr das: Ab und an erscheinen diese besonderen Filmproduktionen, die man sich völlig wert- und vorurteilsfrei anschaut, möglicherweise sogar ohne das geringste Vorwissen über den Inhalt, und dennoch spürt man sofort: Ja! Dieser Film hat das Zeug zum absoluten Klassiker. Und dann gibt es Filme, die nicht nur das notwendige Zeug dazu mitbringen, sondern bereits als Klassiker zur Welt kommen. Genau das ist „The Holdovers“ für mich. Leute, das ist exakt jener Film, auf den ich seit vielen Jahren gewartet habe, ohne zu wissen, dass ich tatsächlich darauf gewartet habe. DER perfekte, unperfekte Weihnachtsfilm, der so verzweifelt nach einem deutschen Kinostart in der *Pre-Christmas Season* geschrien hat und letztendlich in den unchristlichen, unliebsamen Januar 2024 geschoben wurde. Und obwohl ich diese kleine aber feine 0815-Geschichte, gefühlt bereits tausendmal in den unterschiedlichsten Ausprägungen/Adaptionen gesehen habe, hat „The Holdovers“ etwas, das viele andere Titel nicht haben: Einen großartig aufspielenden Cast, jede Menge Charme, diesen „Club-der-toten-Dichter-Touch“ (bloß in die 70er Jahre versetzt), diese notwendige Wärme, einen Haufen (un)freiwilliger Situationskomik, allem voran: Herz & Courage.
Außerdem ist Paul Giamatti, den ich eine halbe Ewigkeit nicht mehr in so einer großartigen Charakterrolle gesehen habe, eine einzige Augenweide. Er brilliert in seiner Rolle als mürrischer, aber letztlich liebenswürdiger Lehrer, der sich widerwillig um eine Handvoll zurückgelassener Schüler während der Weihnachtsferien kümmern muss. Seine Darstellung ist so frisch & altmodisch zugleich und derart authentisch, dass man meinen könnte, er wäre direkt aus den 70ern entsprungen. Die Chemie zwischen Giamatti und Sessa, der den rebellischen Schüler spielt, ist bemerkenswert. Ihre dynamische Beziehung, die von anfänglicher Abneigung zu einer warmherzigen Freundschaft wächst, verleiht dem Film Tiefe und die notwendigen Nuancen, die über das übliche Maß hinausgehen. Gott sei Dank, dass Giamatti für diese Leistung von der HFPA mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde.
Auch wenn es hier vielleicht inhaltlich recht wenig Spektakuläres zu berichten gibt, so MUSS man diese akribische Regiearbeit von Alexander Payne („Sideways“, „The Descendants“,...) und auch das Drehbuch von David Hemingson in den allerhöchsten Tönen loben. Payne schafft es, eine scheinbar simple, unspektakuläre Geschichte in ein emotionales Werk zu verwandeln, ohne dabei zu viel des Guten zu wollen: Jede Szene durchdacht, jede Kameraeinstellung trägt zur Atmosphäre des Films bei, jeder Dialog eine Punktlandung und verstärkt somit die melancholische, aber irgendwie auch hoffnungsvolle Stimmung des Films. Besonders hervorzuheben ist das Drehbuch von David Hemingson, das vor Witz, Intelligenz und Nostalgie nur so strotzt. Es gelang ihm außerdem, die Charaktere so lebendig und realistisch zu zeichnen, obwohl sie eigentlich - bei näherer Betrachtung - äußerst stereotyp daherkommen und sogar das ein oder andere Klischee mitbringen. Doch in Kombination mit dem Soundtrack (der sorgfältig ausgewählte Klassiker der 70er Jahre beinhaltet), erwacht das ganze Geschehen von Minute zu Minute mehr zum Leben, heizt den Nostalgiefaktor an und bildet ein rundum harmonisches Bild.
Insgesamt ist „The Holdovers“ ein Film, der nicht nur unterhält, sondern auch berührt und zum Nachdenken anregt. Er ist ein kleines, unperfektes Meisterstückchen, das sowohl durch seine technischen Aspekte als auch durch seine emotionale Tiefe durchaus zu überzeugen weiß.
Doch bei all der Lobhudelei gibt es auch zwei Kritikpunkte, die einer 10/10-Bewertung einen Strich durch die Rechnung machen:
1. Die zwischenmenschliche Beziehung zwischen den Figuren von Giamatti und Sessa hätte zur absoluten Perfektion eine winzige Prise mehr Emotionalität und Rührseligkeit vertragen können. Während ihre Dynamik stark und überzeugend ist, hätte ein zusätzlicher emotionaler Höhepunkt die Wirkung ihrer Beziehung deutlich verstärkt. Auch ein paar kleinere Nebenhandlungsstränge, die leider liegen gelassen wurden, hätte ich sehr gerne weiterverfolgt. Klassisch: Potential liegen gelassen.
2. Bei aller Liebe und Respekt für Da'Vine Joy Randolph, die ich als Person und Schauspielerin sehr schätze, muss ich sagen, dass ihre Leistung in meinen Augen keine oscarreife Darbietung war. Never. In hundert Millionen Jahren nicht. Obwohl die gesamte vornominierte weibliche Riege letztes Jahr nicht wirklich über den gehobenen Durchschnitt hinausreichte, hätte es Jodie Foster für ihre Rolle in „Nyad“ mehr verdient. Aber: Trotz dieser Kritikpunkte komme ich letztendlich bei einer 8 von 10 Bewertung raus, da ich den Film in seiner Gesamtheit einfach großartig finde und ich mich dazu verpflichtet fühle, ihn uneingeschränkt weiterzuempfehlen.