Kalla Malla
Auf der Suche nach weiteren Informationen für ihre Examensarbeit, die sich mit Gewaltdarstellungen in Film- und TV-Produktionen auseinandersetzt, gerät die Filmstudentin Angela selbst in das Fadenkreuz eines Serienkillers. Der Psychopath dreht »Snuff Movies«, Filme, bei denen Menschen vor laufender Kamera zu Tode gefoltert werden. Über ein halbes Dutzend Tote gehen bereits auf sein Konto. Angela soll das nächste Opfer sein …
Der Film beginnt mit einer U-Bahn-Fahrt, und Studentin Ángela (Ana Torrent) hört eine Lautsprecherdurchsage. Ein Selbstmörder hat sich auf die Schienen geworfen. Wir sehen Ángela den Bahnsteig entlanglaufen, und das Personal appelliert eindringlich an die Passanten, nicht auf die Schienen zu sehen. Ángela zögert … und läuft, den Blick geradeaus, weiter. Die kurze Eingangssequenz spielt für die Filmhandlung keine Rolle, steckt aber in wenigen Minuten das komplette Themenfeld des Filmes ab: Es geht um Gewalt und Grauen und um die eigene Einstellung dazu – oft eine Mischung aus gesundem Abscheu und voyeuristischer Faszination und Neugier. Ebenso wie Ángela hin- und hergerissen ist, schwankt auch der Zuschauer zwischen der Angst, der Film würde nun die zerfetzte Leiche auf dem Bahnsteig zeigen, und einer klitzekleinen Enttäuschung, dass er es dann doch nicht tut.
Nach der Eingangssequenz nimmt sich Alejandro Amenábar erst einmal Zeit, seine Figuren zu entwickeln. Ángela, eine pragmatische Studentin, die Material für ihre wissenschaftliche Arbeit sucht, bittet den nerdigen Freak Chema (Fele Martinez), der für seine Obsession für harte Horror- und Gewaltfilme bekannt ist, um Mithilfe. Doch die Recherche läuft anders als geplant, denn wenig später stirbt ihr Professor bei einer Filmvorführung und sie bekommt ein »Snuff Video« in die Hände, das zeigt, wie eine Studentin der gleichen Uni zu Tode gefoltert wird. Ángela entdeckt, dass in der Uni eine Bande mit der Herstellung und dem Vertrieb solcher Filme beschäftigt ist, und schon bald ist ihr eigenes Leben in Gefahr.
Mit »Tesis« ist Alejandro Amenábar ein unerhört spannender Thriller im Universitätsmilieu gelungen, der geschickt immer wieder neue Fährten legt und bei dem jeder irgendwann in Verdacht gerät. Wem kann man trauen? Ángela trifft hier einmal die falsche Entscheidung – und bezahlt dies fast mit ihrem Leben. Trotz einiger harter Momente verzichtet Amenábar weitgehend auf vordergründige Schockszenen und setzt ganz auf Suspense – die Szene im dunklen Archiv mit den ständig ausgehenden Streichhölzern etwa ist an Nervenkitzel kaum zu toppen.
Der während der Dreharbeiten damals erst 23-jährige Alejandro Amenábar, der Fans des Genres vor allem durch seinen Nicole Kidman-Grusler »The Others« (2001) ein Begriff sein dürfte, inszenierte mit »Tesis« seinen Debütfilm und wurde dafür weltweit ausgezeichnet. Auf den fürchterlichen deutschen Titel »Tesis - Der Snuff-Film« muß man erst mal kommen. Auch die deutsche FSK 18-Freigabe will sich mir nicht erschließen, denn was Amenábar zeigt, ist nicht etwa authentische Gewalt (für Splatterfans ist der Thriller weitgehend uninteressant), sondern die Faszination, die sie auf die Betrachter ausübt.
Was die Entstehung und den Mythos des »Snuff-Films« anbelangt, geht »Tesis« nicht in die Tiefe, darüber erfährt man überraschend wenig (weswegen es viele Rezensenten gibt, die ihn nicht mögen). Dafür gelingt Amenábar aber ein extrem spannender Thriller (mit nägelkauenden Verfolgungsjagden und einem Finale, das bei klassischem Schauer-Gewitter stattfindet), der sein Thema immer wieder aufgreift (wie die allgegenwärtige Überwachung durch Kameras) und am Ende noch eine gute Portion Medienkritik anklingen lässt, wenn das Snuff-Video dem Fernsehen in die Hände fällt, das es natürlich mit heuchlerischer Warnung den Zuschauern vorführt (nach den üblichen Floskeln, das man »lange überlegt und diskutiert habe«, ob man diese Bilder dem Publikum zeigen darf), welche allesamt gebannt vor den Fernsehern sitzen.
Ist es eine Todessehnsucht, die uns dazu bringt, uns so etwas anzusehen? Wollen wir den Tod besser verstehen, damit er seinen Schrecken verliert, oder suchen wir einen Weg, mit Gewalt umzugehen? »Tesis« wirft viele Fragen auf und überlässt es dem Zuchauer, seine Schlüsse zu ziehen. Insofern ist er deutlich anspruchsvoller als der mainstreamige »8 mm« (1999) mit Nicolas Cage. Ich kann ihn guten Gewissens allen Thriller-Fans empfehlen, auch weil er sich durch die unverbrauchten Gesichter wohltuend vom Hollywood-Kino abhebt.
Ein bemerkenswert guter Film, der es verdient hätte, mehr zu sein als nur ein kultiger Geheimtipp.