Kalla Malla
Um der Verfolgung durch die Polizei zu entgehen, nistet sich Onkel Charlie (Joseph Cotten) bei der Familie seiner Schwester ein, gerade als seine nach ihm benannte Nichte Charlie (Teresa Wright) ihn einladen wollte, um dem ruhigen Familienleben in der Kleinstadt etwas Schwung zu verleihen. Charlie glaubt an eine beinahe mystische Verbindung, die zwischen ihr und dem Onkel besteht, von ihm erwartet sie das Wunder, das ihr langweiliges Leben mit einem Schlag ändern wird. Nach und nach entdeckt Charlie, daß es ein befremdendes Geheimnis im Leben ihres Onkels gibt. Ist er der »Merry Widow Murderer«, der mehrere reiche Witwen ermordert hat? Charlie ist im Zwiespalt, die Zuneigung zu ihrem Onkel läßt sie zögern - und das wird ihr beinahe zum Verhängnis...
Alfred Hitchcock hat »Im Schatten des Zweifels« (»Shadow of a Doubt«) aus dem Jahr 1943 immer wieder zu seinem Lieblingsfilm erklärt, und tatsächlich sind die unglaubliche Liebe zum Detail, die Wärme in der Figurenzeichnung und die Gnadenlosigkeit des Plots so perfekt ausgearbeitet, dass man - selbst wenn man andere Hitchcocks vorzieht - seine Vorliebe verstehen kann.
Am Drehbuch hat u.a. Thornton Wilder mitgearbeitet, dessen Klassiker »Unsere kleine Stadt« hier in der präzisen Zeichnung der idyllischen Kleinstadt und ihrer Bewohner Einzug findet. Hat Hitchcock in seinen Filmen oft die dunklen Seiten in der heilen Familie gesucht und gerne die Mutter als Ursache allen Übels demaskiert, so ist das Böse in »Im Schatten des Zweifels« eindeutig der Außenseiter Onkel Charlie, in der Familie selbst gibt es keine Abgründe. Erstaunlicherweise ist die Mutterfigur, verkörpert von Patricia Collinge, die sympathischste Figur des gesamten Films. Das mag vielleicht daran liegen, dass Hitchcocks eigene Mutter zur Zeit der Dreharbeiten sehr krank war und er nicht zu ihr nach England reisen konnte.
Überhaupt zeigt »Im Schatten des Zweifels« Hitchcock von seiner entspanntesten und sensibelsten Seite. Viele seiner Lieblingsthemen finden sich hier wieder, z.B. das Doppelgänger-Motiv. So haben Onkel und Nichte nicht nur denselben Vornamen, sie werden auch in derselben Pose eingeführt und tragen sich mit ähnlichen Gedanken. Onkel Charlie ist das personifizierte Böse in Gentleman-Gestalt, so verführerisch und freundlich er nach außen erscheinen mag. Eine großartige Leistung von Joseph Cotten, der im besten Moment des Films einen Monolog über die satten, reichen Frauen hält, die er verachtet (und tötet) - eine Szene, die heute noch in ihrer Direktheit schockiert und die eine oder andere Gänsehaut verursacht.
Teresa Wright ist die perfekte Hitchcock-Heldin. Nicht die geheimnisvolle Blondine vom Schlage Grace Kellys, sondern das unschuldige Mädchen, dass auch in einer heilen Welt das Böse erkennen und erwachsen werden muss (etwa wie in »Jung und Unschuldig« oder »Eine Dame verschwindet«, womit Hitchcock auch eine Brücke zu seinen britischen Meisterwerken schlägt). Züge sind wie immer bei Hitchcock schicksalhaft - der Zug bringt Onkel Charlie in die Stadt (mit dunklem Rauch aus dem Schornstein, ein Vorbote des Unheils), und im Zug findet schließlich die finale Konfrontation der beiden Charlies statt.
»Im Schatten des Zweifels« besticht zudem durch überraschend sonnige Außenaufnahmen - etwas, was Hitchcock sonst immer gehasst hat (bei Außenaufnahmen hat der Regisseur nie die volle Kontrolle übers Licht). Alles in allem hat »Im Schatten des Zweifels« seinen Klassiker-Staus absolut verdient. Er ist spannender Thriller, detailgetreues Kleinstadt-Porträt und böses Märchen in einem, er steckt voller Subtexte und Ideen, sowohl inhaltlich als auch visuell. Ich könnte keine einzige Schwäche des Films nennen. Und so erklärt sich auch Hitchcocks Vorliebe.