Kalla Malla
Isolation, Einsamkeit und Homosexualität. - Das sind wohl die Kernpunkte des Films.
Ein Polizist wird Zeuge, wie sich zwei vereinsamte Gefängnisinsassen über die Fenster in ihren Zellen einen Blumenstrauß zuwerfen wollen, was jedoch misslingt. Die einzige Möglichkeit der Kommunikation ist das Klopfen an die dicken Betonwände. Die eigene Masturbation wird dabei für die Männer zum verträumten Tanz der homoerotischen Fantasien, an dem sie den anderen teilhaben lassen, indem sie sich gegen die nackten Zellenwände pressen. Erregt sieht der sadistische Polizist den eingesperrten Männern durch die kleinen Spione an den Zellentüren zu und dringt somit ebenfalls in die homosexuellen Träume und in deren Einsamkeit ein.
Wann hat ein Extrem das Recht, sich als Kunst auszugeben? So genau kann ich diese Frage nicht beantworten, eines steht jedoch fest: "Un chant d'amour" ist ein filmisches Extrem, zwar aus heutiger Sicht nicht mehr überaus schockierend oder grenzüberschreitend, aber dennoch nicht für jeden geeignet. 1950 konnte der Film aufgrund einiger Szenen, die wohl leicht ins pornographische abgleiten, noch nicht aufgeführt werden, wurde aber unter den Personen, die im Kreise Jean Genet´s verkehrten, schnell unter vorgehaltener Hand vorgeführt. Als ein Kinobesitzer einige Jahre später den Mut hatte, den Film zu zeigen, wurde er von der Polizei zusammengeschlagen. Daran sieht man mal wieder, wie schnell manches doch zu Überreaktionen führt, die völlig fehl am Platze sind. "Un chant d'amour" ist auf den ersten Blick sicherlich ein Streifen für die Homosexuelle Ecke, ihn jedoch darauf zu reduzieren wäre fatal. Hierbei haben wir es mit ehrlicher, tiefgründiger Kunst zu tun, wobei von Glück gesprochen werden darf, dass dieser einzigartige Kurzfilm nicht in Vergessenheit geriet. So handelt es sich dabei nämlich um die erste und einzige Regiearbeit des homosexuellen französischen Schrifstellers Jean Genet, der viele Jahre nach dem Dreh sogar selbst behauptete, den Film nicht ausstehen zu können. Wieso dem so ist, ist mir leider nicht bekannt.
Wie dem auch sei, als Konsument kann einem dies egal sein. Filme wie "Un chant d'amour" erreichen ganz bewusst nur ein bestimmtes Publikum, das von der Existenz derartiger Filme weiß und sie auch würdigt. Für Mainstreamliebhaber ist derartiges pures Gift. Was wir hier haben wirkt wie der Drogenrausch eines eingesperrten Homosexuellen, der von der freien Auslebung seiner Sexualität träumt. Die Inhaftierten klopfen rhytmisch an die kahlen Wände, stecken Strohhälme durch kleine Ritzen in den Wänden und pusten sich durch diese gegenseitig Zigarettenqualm zu. Sie streicheln sich lustvoll über ihre eigenen Körper, reiben ihre Penisse an Betten und Wände, was überraschend unverdeckt vonstatten geht, so dass es nicht wundern sollte, dass "Un chant d'amour" seinerzeit für einen Skandal sorgte.
Der natürlich in schwarz weiß gefilmte Kurzfilm basiert auf dem Manuskript Notre-Dame-des-Fleurs, das Jean Genet während einem seiner zahlreichen Gefängnisaufenthalte schrieb. Daraus geht hervor, dass der bekannte Schriftsteller mit viel Leidenschaft bei der Sache war und genau das merkt man dem Film auch an. Es wird während der gesamten 25 Minuten kein Wort gesprochen, doch Sprache ist das Letze, das man hier vermissen würde. Die Kraft der Bilder, teils traumhaft ruhig und erleichternd schön, teils hart und von Einsamkeit geprägt, sprechen ihre eigenen Worte, singen ihr eigenes Liebeslied.
Sehr interessant in alledem ist die Rolle des Polizisten, der sich seine Homosexualität nicht eingestehen kann und sie mithilfe seiner Pistole ausleben muss, die er einem der Gefangenen in den Mund steckt. Durch die Spione linsend vergeht er fast vor Verlangen, doch angesichts dem allgemeinen Standpunkt zur Homosexualität verleugnet er sich selbst. Dies halte ich für eine offen dargelegte Kritik am Umgang mit der Homosexualität in der damaligen Zeit, was Jean Genet wunderbar in seinen Film hat einfließen lassen.
Fazit: "Un chant d'amour" ist ein filmischer Aufschrei, der radikal und ohne Scheu alles zeigt, was gezeigt werden muss. Ein tiefer Einblick in die Seele eines Mannes, der hiermit wahrlich Kunst schuf. Kunst, mit der nicht jeder etwas anfangen kann. Manche Szenen zeigen das Leid der Einsamkeit und des sexuellen Begehrens in vollkommener Isolation, andere wiederum strotzen trotz ihrer Farblosigkeit nur so von innerer Wärme und tiefer Geborgenheit. Wer mit derartigen Filmen etwas anfangen kann, sollte nach "Un chant d'amour" in jedem Fall mal Ausschau halten, auch wenn ich eine weitere TV Ausstrahlung in naher Zukunft sehr bezweifle.